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Bausteine für lebenswertes Stadtklima

Regen willkommen!

Die Regenwasserbewirtschaftung kann eine recht trockene Angelegenheit werden, wenn es mal wieder vier bis sechs Wochen lang nicht regnet, wie in den Jahren 2018 bis 2020 und bereits auch 2022. Dann sind kleine Regenspeicher leer und extensiv begrünte Dächer trocken. Doch gut vorbereitete Stadtquartiere haben zusätzliche Bausteine.

Dürre und Starkregen im Wechsel

Fehlt der Regen wie 2018 im Norden und ­Osten Deutschlands sogar sechs Monate, dann fällt das Laub frühzeitig von den Bäumen und bestimmte Pilze sowie Schädlinge nehmen überhand. Saftige Wiesen verwandeln sich in dürre Steppen. Mit dem sinkenden Wasserpegel in Rhein, Main und ­Neckar sind im Oktober 2018 sogar die Preise für Benzin und Heizöl in Süddeutschland kräftig gestiegen. Damit haben die wenigsten gerechnet – doch in leeren Flüssen können keine vollen Tankschiffe fahren. Es gab also viele Gründe, sich anhaltende Niederschläge herbeizuwünschen.

Kommt der ersehnte Regen endlich und fällt er heftig, setzt sich die Tragödie fort: Der durchgetrocknete Boden kann die Wassermenge kaum aufnehmen. Erst in gut durchfeuchtetem Zustand entspricht die sogenannte Infiltrationsrate dem, was beim Bau von ­Sickermulden geplant und berechnet wurde. Wünschenswert wären also nach einer Trockenperiode drei Tage Nieselregen – selbst wenn der Durst der Gärten, Parks und Außenanlagen groß ist. Sonst folgt auf die Dürre gleich das andere Extrem, die Überflutung.

Für spürbare Fortschritte im Stadtklima braucht es deutlich mehr Verdunstung über Gebäude- und Straßenraumbegrünung, wie hier im Europaviertel Frankfurt-West. ­Voraussetzung sind Niederschlagsvorräte zur Bewässerung in Trockenphasen.

Bild: König

Für spürbare Fortschritte im Stadtklima braucht es deutlich mehr Verdunstung über Gebäude- und Straßenraumbegrünung, wie hier im Europaviertel Frankfurt-West. ­Voraussetzung sind Niederschlagsvorräte zur Bewässerung in Trockenphasen.

Selbsthilfe im Wohnquartier

Die Stadt Großsachsenheim nördlich von Stuttgart hat im Untergrund ein Depot mit 75 m³ Regenwasser. Das wird benötigt für eine im Jahr 2015 erstellte 100 m lange und komplett begrünte Lärmschutzwand – die viele Vorzüge gegenüber herkömmlichen Lösungen aus Stahl, Beton oder Glas hat. Das Regenwasser des dahinter liegenden Wohnquartiers wird zur Bewässerung der Lärmschutzwand genutzt. Damit sparen die Bewohner der Siedlung Niederschlagsgebühren.

Außerdem absorbiert die Begrünung Schall, statt ihn zu reflektieren, und filtert Feinstaub. Sie ist ein Habitat für Kleintiere, wandelt Kohlendioxid in Sauerstoff um und kühlt im Sommer durch Evapotranspiration. Der Begriff steht für Verdunstung sowohl aus der Pflanze als auch aus dem feuchten Substrat heraus. Die Anerkennung der Naturschutzbehörde als Ausgleichsmaßnahme wegen all dieser Vorzüge soll der Vollständigkeit halber ebenfalls erwähnt werden. Für eine nicht begrünte Konstruktion hätte im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes ein zusätzlicher Ausgleich geschaffen und bezahlt werden müssen.

Beschattung durch lebendiges Grün und Kühlung durch Verdunstung von Regenwasser – beides hilft, Gebäude und Stadtteile natürlich zu klimatisieren und urbane Hitze zu verringern. Die Dach- und die Fassadenbegrünung sind, wie bei der Lärmschutzwand, dafür ideal geeignet. Aus diesem Grund will Stuttgart mehrere Wohn- und Gewerbequartiere im Nordwesten der City in Bezug auf Stadtklima nachhaltig optimieren. Und Hamburg hat eine Gründachstrategie entwickelt. Das Ziel ist, möglichst alle technisch dafür geeigneten Dachflächen in grüne Niederschlagspuffer zu verwandeln.

Regenwasser braucht Aufenthaltserlaubnis

Regenwasser muss künftig länger in der Stadt bleiben und gefahrlos durch die Methoden der Regenwasserbewirtschaftung mit den Aspekten Umweltschutz, Lebensqualität, Stadtklima und Überflutungsschutz verknüpft werden. Diese neue Aufgabe beschäftigt mittlerweile Stadt- und Regionalplaner europa- und weltweit.

In Deutschland spüren wir die Auswirkungen schon. So sehen sich Haus- und Grundbesitzer zunehmend mit Auflagen und Kosten konfrontiert:

  • Bei Neubau hängt die Baugenehmigung von entsprechenden Regenwasser­bewirtschaftungsmaßnahmen ab.
  • Bei bestehenden Gebäuden geben
    die ständig steigenden Nieder­schlags­­gebühren Anlass, über eine alternative Regenentwässerung nachzudenken.
  • Doch auch von Investoren kommen Impulse. Im Rahmen der Finanzierung großer Immobilien und Stadtquartiere wünschen sie immer häufiger, das Projekt auf Nachhaltigkeit z. B. von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifizieren zu lassen. Dafür sind Lösungen im Umgang mit Regenwasser von Vorteil.

    Überflutungsvorsorge bei Starkregen in Verbindung mit Regenrückhaltung und Gebäudebegrünung lassen sich vor allem im öffentlichen Raum kombinieren. Zu ebener Erde, im Straßenraum, werden Pflanzensysteme als klimatisch ausgleichende Elemente etabliert: Baumalleen mit Gehölzen, die unter den urbanen Bedingungen gedeihen.

    Grundvoraussetzung ist natürlich wieder ausreichend Wasser, idealerweise Regenwasser. Es kommt von den Fahrbahnen und Gehwegen, wird mithilfe von bewachsenen Sickermulden oder technischen Filtern von Schadstoffen befreit und in Rigolen eingeleitet. Diese Rigolen halten Wasser für die Baumwurzeln bereit. Der Überschuss an Niederschlagswasser versickert. Im Zuge von ohnehin fälligen Straßenbauarbeiten bieten sich die besten Möglichkeiten für den Einbau solcher Baumquartiere und Rigolen.

    Europaviertel Frankfurt-West: Die DGNB hat dieses Stadtquartier als eines der ersten fünf in Europa mit dem Nachhaltigkeitszertifikat in Platin ausgezeichnet, u. a. wegen der positiven Veränderung des Stadtteilklimas.

    Bild: Gregor Grassl

    Europaviertel Frankfurt-West: Die DGNB hat dieses Stadtquartier als eines der ersten fünf in Europa mit dem Nachhaltigkeitszertifikat in Platin ausgezeichnet, u. a. wegen der positiven Veränderung des Stadtteilklimas.

    Lokale Wasserbilanz

    Für spürbare Fortschritte im Stadtklima braucht es deutlich mehr Verdunstung über Gebäude- und Straßenraumbegrünung. Gleichzeitig gilt es, den natürlichen Wasserkreislauf in der Erde zu unterstützen, sinkende Grundwasserspiegel auszugleichen. Dafür bedarf es der Versickerung von unbelasteten Niederschlägen, die von wasserdurchlässig befestigten Flächen stammen und direkt durch die Fugen und die Bettung des Belags sickern. Solche Flächen sind z. B. Gehwege, Fahrzeugstellplätze, Innenhöfe ohne seitliche Grünflächen. Gutachten dazu haben schon vor einem Jahrzehnt bestätigt, dass das dauerhaft alleine über die Fugen des Belags funktionieren kann. Stammt das Wasser von Verkehrsflächen, muss es vor der Versickerung gereinigt werden. Dafür eignen sich Filterschächte mit entsprechender Zulassung.

    Aktuell erscheinen mit DWA-A/M 102 und BWK-A/M 3 technische Regelwerke zum Regenwassermanagement, deren Vorbild und Ziel die lokale Wasserbilanz ist. Gemeint ist damit das ursprüngliche Verhältnis von Versickern, Verdunsten und oberirdisch Ableiten am jeweiligen Ort. Sind beispielsweise vor einer Bebauung 30 % des Niederschlags versickert und 60 % verdunstet, soll das auch nach Fertigstellung von Gebäuden, Grün- und Verkehrsflächen so sein. Und bei 10 % oberflächigem Abfluss in einem Bachlauf soll auch dieser nach Fertigstellung eines Stadtquartiers wieder vorhanden sein.

    Um beim Entwurf eines Bebauungsplanes die Prozentsätze festlegen zu können, brauchen Stadtplaner ein bundesweites Kataster der ursprünglichen Wasserbilanz. Mit dem Hydrologischen Atlas Deutschland (HAD) sind die benötigten Werte mittlerweile kleinräumig verfügbar. Zugleich bieten die Kataloge der Hersteller Angaben zur Versickerungs- und Verdunstungsleistung ihrer Produkte und Systeme an.

    Großsachsenheim nördlich von Stuttgart: Die Wohnbebauung liefert das Regenwasser für eine 100 m lange und komplett begrünte Lärmschutzwand, die auch zum besseren Stadtklima beiträgt. Die automatische Bewässerung erfolgt aus dem unterirdischen Regenspeicher.

    Bilder: Helix-Pflanzensysteme

    Großsachsenheim nördlich von Stuttgart: Die Wohnbebauung liefert das Regenwasser für eine 100 m lange und komplett begrünte Lärmschutzwand, die auch zum besseren Stadtklima beiträgt. Die automatische Bewässerung erfolgt aus dem unterirdischen Regenspeicher.

    Info

    Bausteine dezentraler Regenwasserbewirtschaftung

  • Verdunstung:
    Dach- und Fassadenbegrünung, Wasserflächen und Gräben/Mulden
  • Verzögerte Ableitung:
    Gründächer, Regenspeicher, Sickermulden, Behandlungsanlagen
  • Versickerung:
    bepflanzte Mulden, Rohr-, Kies-, Block-Rigolen, Sickerpflaster
  • Behandlung (Reinigung):
    Bodenpassagen, Filter, Sedimentations-, Adsorptionsanlagen
  • Nutzung:
    Betriebswassertechnik für Bewässerung, WC, Waschmaschine, adiabate Kühlung, Produktion, Reinigung, Aufbereitung
  • Autor

    Dipl.-Ing. Klaus W. König 
    war 20 Jahre als Architekt selbstständig und ist ­heute Fachjournalist und Buchautor, ­speziell zur wasserorientierten Stadtplanung und zur energiesparenden Bautechnik. Er ist Mitarbeiter im DIN-Ausschuss Wasserrecycling/­Regen- und Grauwassernutzung sowie Gründungsmitglied des gemeinnützigen ­Bundesverbandes für ­Betriebs- und Regenwasser e. V. (fbr).

    Bild: König

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