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Energieträger

Erstmals 20 % Wasserstoff im deutschen Erdgasnetz

Wasserstoff kann Erdgas beigemischt werden. Ein Projekt soll zeigen, ob mehr als die aktuell im DVGW-Regelwerk festgelegten 10 Vol.-% möglich sind.

DVGW

Wasserstoff kann Erdgas beigemischt werden. Ein Projekt soll zeigen, ob mehr als die aktuell im DVGW-Regelwerk festgelegten 10 Vol.-% möglich sind.

Im Dezember 2021 startet die E.on-Tochter Avacon mit der Beimischung von Wasserstoff in einem Teilnetz in Sachsen-Anhalt. Stufenweise werden hier dem Erdgas in der kommenden Heizperiode bis zu 20 Vol.-% Wasserstoff zugefügt.

Das Gemeinschaftsprojekt von Avacon und dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) soll zeigen, dass es technisch möglich ist, Wasserstoff zu einem deutlich höheren Prozentsatz als bislang in den Technischen Regeln des DVGW vorgesehen, in ein existierendes Gasnetz einzuspeisen.

Geräte und Anlagen müssen für diesen Prozess nicht verändert werden. Die Ergebnisse des Projekts sollen als Vorbild für den zukünftigen Einsatz von Wasserstoff in Gasverteilnetzen dienen. Laboruntersuchungen zeigen, dass viele Geräte in den Haushalten mit bis zu bis 30 Vol.-% Wasserstoffbeimischung betrieben werden können. Im Rahmen der Zulassung werden alle Geräte mit Prüfgas, das bereits 23 Vol.-% Wasserstoff enthält, getestet. Diese Laborergebnisse sollen im Gemeinschaftsprojekt durch die Erfahrungen aus dem Einsatz in der Praxis untersetzt werden.

Statements der Projektpartner

Avacon-Technikvorstand Dr. Stephan Tenge: „Grüner Wasserstoff ist auf dem Weg zur klimaneutralen Energieversorgung unserer Auffassung nach unverzichtbar. Mit innovativen Projekten wie diesem wollen wir demonstrieren, dass unsere Netze Grünes Gas sowohl effizient als auch in relevanten Mengen aufnehmen können. Damit unterstreichen wir den nachhaltigen Wert der Verteilnetze als Schlüssel für eine CO2-freie Energieversorgung“, sagte zum Ziel des Projektes.

Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW: „Unser Gemeinschaftsprojekt ist ein wichtiger Meilenstein bei der Nutzung von Wasserstoff als wesentlicher Bestandteil für eine erfolgreiche Energiewende. Wir demonstrieren in der Praxis, dass die vorhandene Gasinfrastruktur ebenso wie die Mehrzahl der Anwendungen fit für Wasserstoff und ein unverzichtbares Asset sind, um Deutschland in eine Wasserstoff-Wirtschaft zu führen und klimaneutral zu machen.“

Für das Projekt kommt allerdings Grauer Wasserstoff zum Einsatz, der im Wärmemarkt gegenüber der Nutzung fossilen Erdgases höhere Treibhausgasemissionen verursacht.

Exkurs

20, 23, 30 % – das klingt nach einer großen Wirkung. Vielleicht haben die Projektpartner auch deshalb in ihrer offiziellen Mitteilung nicht angegeben, dass es sich um Volumen-Prozente handelt. Denn die energetische und damit die klimarelevante Substitution ist erheblich kleiner als es die Zahlen suggerieren: Aufgrund der sehr unterschiedlichen Eigenschaften von Wasserstoff und dem Erdgas dominierenden Methan ist für Bilanzen bzw. verbrennungsbezogene CO2-Emissionen eine Angabe unumgänglich, ob die Beimischung volumetrisch oder energetisch ist.

Wie groß die Unterschiede sind, verdeutlich nachstehend zwei Beispiele. Ausgangswerte sind der Brennwert (Hs,n) von Methan (CH4) mit 11,06 kWh/m3 und von Wasserstoff (H2) mit 3,54 kWh/m3. Zudem wird angenommen, dass sich beide Gase wie ein ideales Gas verhalten.

Volumetrische Betrachtung für 10 %  
● Bei einem Wasserstoffgehalt von 10-Vol.-% sinkt der Brennwert um 6,8 % des CH4/H2-Gemischs auf 10,31 kWh/m3. Um die gleiche Energiemenge zu liefern, muss das eingesetzte Gasvolumen dadurch um 7,3 % steigen.
● Bei einem Wasserstoffgehalt von 10 Vol.-% stammen energetisch 3,43 % aus dem beigemischten Wasserstoff.
● Die verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen sinken bei einem Wasserstoffgehalt von 10-Vol.-% zu Methan um 10 % bezogen auf einen Kubikmeter des Gasgemischs. Bezogen auf 1 kWh (HS,n) sinken sie nur um 3,43 %.

Energetische Betrachtung für 10 %  
● Um 10 % des Brennwerts von Methan energetisch zu ersetzen, muss der Wasserstoffanteil eines CH4/H2-Gemischs 25,8 Vol.-% betragen.
● Das für die gleiche Energiemenge benötigte Gasvolumen steigt um 21,2 %. Der Brennwert sinkt auf 9,122 kWh/m3.
● Die verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen sinken bei einem energetischen Ersatz durch Wasserstoff um 10 % bezogen auf 1 kWh (HS,n) und bezogen auf einen Kubikmeter des Gasgemischs um 25,8 %.

Betrachtung für 20 % volumetrisch und energetisch 
● Für einen Wasserstoffgehalt von 20 Vol.-% ergeben sich eine energetische Ersatzquote und eine CO2-Minderung von jeweils 7,41 %.
● Um 20 % der sonst über Methan bereitgestellten Energiemenge durch Wasserstoff zu ersetzen (was auch eine Verringerung der verbrennungsbezogen CO2-Emissionen um 20 % bedeuten würde), wäre ein Wasserstoffgehalt in dem Brenngas von 43,9 % erforderlich. 

Zur Einordnung: Der Gebäudesektor hat im Bundes-Klimaschutzgesetz einen Pfad für die Verminderung der jährlichen Emissionsmengen der im Jahr 2021 bei 4,2 % gegenüber dem Vorjahr liegt und bis 2030 auf 6,9 % gegenüber dem Vorjahr ansteigt. Eine Beimischung von 10 Vol.-% CO2-neutral hergestelltem Wasserstoff würde also noch nicht einmal dem Minderungssoll im ersten Jahr entsprechen. Auch 20 Vol.-% würden kaum zwei Jahre „abdecken“. Bei den absehbar geringen Beimisch- oder Substitutionsquoten muss also die Hauptlast über andere Maßnahmen realisiert werden.
 

Das Projekt umfasst 350 Netzkunden

Für das Projekt wurde ein Netzabschnitt im Gasverteilnetz von Avacon im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ausgewählt. Dieser eignet sich vor allem deshalb, weil die dort verbaute Netzinfrastruktur repräsentativ für das gesamte Avacon-Gasverteilnetz ist und die Ergebnisse somit übertragbar sind. Bei dem Netzabschnitt handelt es sich um ein Mitteldruck-Verteilnetz mit rund 35 km Leitungslänge, von dem etwa 350 Netzkunden mit Erdgas versorgt werden. Mit der entsprechenden Menge an Gasgeräten, die vor allem zur Wärmeversorgung dienen, deckt das ausgewählte Netzgebiet eine breite Gerätetechnik ab.

Im ersten Projektabschnitt wurden in Zusammenarbeit mit dem Gas- und Wärme-Institut Essen (GWI) und den Gasgeräteherstellern alle bei den Kunden verbauten Gasgeräte erfasst und sowohl betriebs- und sicherheitstechnisch als auch auf Wasserstoffverträglichkeit überprüft. Insgesamt wurden die bislang erhobenen Gasinstallationen mit den Gasgeräten fast zu 100 % positiv bewertet. Vier nicht geeignete Gas-Heizungen werden durch wasserstofftaugliche Neugeräte ersetzt.

Parallel zu den Überprüfungen der verbauten Technik liefen die technischen Planungen und der Aufbau der Wasserstoffbeimischanlage. Diese soll zum Ende des Jahres in Betrieb gehen.

Zunächst mit dem Regelwerk konform 10 Vol.-% Wasserstoff

Damit beginnt im nächsten Projektabschnitt die Beimischphase. Die Einspeisung von Wasserstoff ist über die zwei Heizperioden 2021/22 und 2022/23 in Stufen von 10, 15 und 20 Vol.-% Wasserstoffbeimischung geplant. Mit der Inbetriebnahme Ende 2021 werden in der ersten Stufe 10 Vol.-% Wasserstoff über etwa vier Wochen dem Erdgas beigemischt, womit sich der Anteil noch in der durch das DVGW-Regelwerk gedeckten Beimischungshöhe bewegt.

Bei rund einem Drittel der Gasgeräte werden Stichprobenmessungen bezüglich der Verbrennungsgüte mit Messungen des tatsächlichen Wasserstoffgehalts vor Ort durchgeführt, um die Einspeisung wissenschaftlich bei allen Einspeisestufen zu begleiten.

Schrittweise soll in Steigerungsstufen von 5 Vol.-% die maximale Wasserstoffbeimischung bis 20 Vol.-% erreicht werden. Die 15-Vol.-%-Beimischphase ist für das erste Quartal 2022 geplant. Nach einer Auswertung soll die Zielkonzentration von 20 Vol.-% Wasserstoff zum Abschluss der Heizperiode erreicht werden. Eine weitere 20-Vol.-%-Einspeisephase folgt in der Heizperiode 2022/23 über mehrere Wochen. Neben einer möglichst gleichförmigen Beimischung sind auch volatile Einspeisungen vorgesehen, um die Effekte schwankender Wasserstoff-Konzentrationen im Bestand zu untersuchen. ■

 

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