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Über schnelles, langsames Denken und KI im Handwerk

SBZ: Thorsten, du hast mal gesagt „Gefühlt haben wir eines nie: genug Zeit. Und trotzdem verschwen­den wir sie.“ Das klingt heute widersprüchlicher denn je. Warum?

Thorsten Moortz: Das ist tatsächlich der Kern des Problems im Handwerk. Wir hetzen von Baustelle zu Baustelle, sind ständig unter Zeitdruck. Und dann sitzen wir abends drei Stunden am Rechner und tippen Angebote. Oder wir suchen eine halbe Stunde nach der richtigen DIN-Norm, obwohl die KI sie in Sekunden finden könnte. Diese Zeitverschwendung hat System – und eine sehr lange Geschichte.

SBZ: Eine lange Geschichte? Auf die bin ich gespannt.

Moortz: Schau, jede Technologie in der Menschheitsgeschichte hat uns Zeit gespart und neue Möglichkeiten eröffnet. Das begann vor 400.000 Jahren mit dem Feuer – unserer ersten „künstlichen Intelligenz“. Plötzlich konnten wir länger arbeiten, ­waren nicht mehr auf Tageslicht angewiesen, konnten Werkzeuge härten. Das Feuer war im Grunde schon ein Mustererkennungssystem: trockenes Holz plus Funken gleich Feuer.

Digitalisierung heißt nicht mehr Technik, ­sondern: weniger Stress.

SBZ: Ich bin gespannt, wie du jetzt die Kurve ins Hier und Heute bekommst.

Moortz: Die Schrift befreite uns davon, alles im Kopf behalten zu müssen. Die Druckerpresse machte Wissen skalierbar. Mechanische Werkzeuge verstärkten unsere Körperkraft, die Dampfmaschine machte uns unabhängig von Wind- und Wasserkraft. Der Personal Computer verstärkte unser Gehirn – aber er war nur so schlau wie ­seine Programme.

SBZ: Und dann kam das Internet.

Moortz: Genau. Google revolutionierte 1998 ­alles. Plötzlich hatten wir Zugriff auf das Wissen der Welt. Aber Google hatte ein Problem, es gab uns Millionen Antworten, wir mussten selbst ­herausfinden, welche richtig war. Wikipedia zeigte dann, dass kollektive Intelligenz funktioniert. Aber auch Wikipedia hatte Grenzen: Es sammelte vorhandenes Wissen, erschuf aber kein neues. Es konnte nicht eigenständig denken.

Dennis Jäger: Ah, ich sehe, wir nähern uns der KI.

Moortz: 2017 entwickelte Google das „Transformer-Modell“, die Grundlage für ChatGPT, Gemini und alle modernen KI-Systeme. Der Durchbruch war, dass KI Muster in der Sprache erkennen und neue Texte erzeugen kann, die aussehen, als hätte sie ein Mensch geschrieben. Sie schafft Strukturen, wo der Mensch nur noch ein großes Durcheinander sehen würde.

Aber bevor ich KI einsetze, muss ich erst mal meine ­eigenen Prozesse im Griff haben.

Dennis Jäger, SBZ-Chefredakteur.

SBZ: Wie funktioniert KI konkret?

Moortz: KI-Systeme arbeiten in vier Schritten: Sprache zerlegen – jedes Wort wird in Zahlen übersetzt. Dann Muster erkennen – das System sucht nach bekannten Zusammenhängen. Wahrscheinlichkeiten berechnen – welches Wort passt am besten? Und schließlich die Antwort formulieren – die wahrscheinlichste Fortsetzung wird ausgegeben. Aber Achtung: Wer die KI wie Google behandelt, bekommt keine Antworten – sondern Grütze. KI braucht Kontext, klare Anweisungen und strukturierte Eingaben.

SBZ: Das ist ein grundlegender Wandel.

Moortz: Hier liegt der Kern der Transformation. Bisher ertranken wir in Informationen, aber es mangelte an Wissen. Der Unterschied ist fundamental: Information sind rohe Daten wie „Es regnet in München“ oder „Der Rohstoffpreis ist gestiegen“. Wissen sind verknüpfte, verstandene Zusammenhänge: „Wegen des Regens verzögert sich die Baustelle, deshalb brauchen wir mehr Material, was teurer wird durch gestiegene Rohstoffpreise – aber der Kunde zahlt trotzdem pünktlich, weil er die Wettersituation versteht.“

SBZ: Kannst du erklären, wie KI-Systeme aus Infor­mationen Wissen machen?

Moortz: Generative KI baut Brücken zwischen Informationsinseln und erzeugt neues Wissen in den Verbindungen. Schau dir die Evolution an: Eine Druckerpresse brachte statischen Content für alle gleich. Computer dynamischen Content, aber standardisiert. Internet globalen Content, aber überwältigend. Generative KI bringt personalisiertes Wissen, genau für die jeweilige Situation. Das bedeutet konkret: Statt stundenlang zu googeln, bekommen Handwerker sofort die relevanten Erkenntnisse für ihr Problem. Nicht mehr „Wie repariere ich einen Wasserschaden?“, sondern: „Wie repariere ich einen Wasserschaden in einem Altbau von 1920 in München, bei dem der Kunde eine bestimmte Versicherung hat und bis nächste Woche wieder einziehen will?“

Schnittstellen ­werden über den ­Erfolg der ­Automatisation ­entscheiden.

SBZ: Boah, so genau geht das doch gar nicht. Oder doch?

Moortz: Hier liegt das Problem: ChatGPT, Gemini und Co. sind auf Allgemeinwissen trainiert – Wikipedia-Artikel, Zeitungsberichte, Romane. Aber was weiß Wikipedia über diese eine spezielle Heizungsanlage von 1995? Über deine bewährten Arbeitsabläufe? Über die Eigenarten deiner Stammkunden? Die Magie beginnt mit deinen Daten. Die großen Modelle können erklären, wie man theoretisch ein Dach deckt. Aber nicht, wie du bei Kunde Müller in der Altbauvilla mit dem krummen Dachstuhl am besten vorgehst.

SBZ: Hm, wie ich dich kenne, hast du dafür eine Lösung.

Moortz: Wenn du nicht weißt, was genau pas­sieren soll – dann weiß es die KI auch nicht. Die Lösung liegt in betriebsspezifischer KI-Nutzung. Drei Schritte: erst Daten sammeln – erfolgreiche Projekte dokumentieren, bewährte Arbeitsanweisungen sammeln. Dann Wissen strukturieren – Vor­lagen erstellen, Standard-Arbeitsabläufe definieren. Schließlich die KI trainieren – spezielle Tools mit eigenen Informationen füttern, branchenspezifische Lösungen wie BauGPT nutzen.

SBZ: Aber bevor ich KI einsetze, muss ich erst mal meine eigenen Prozesse im Betrieb im Griff ­haben, oder?

Moortz: Exakt! Das ist meine wichtigste Regel: Was du nicht beherrschst, kann die KI auch nicht können. Die Automatisierung legt schonungslos Fehler der eigenen Organisation offen. Nimm ein Beispiel: Ein Betrieb will, dass die KI automatisch Angebote schreibt. Aber frag dich: Nach welchen Kriterien kalkulierst du? Welche Informationen brauchst du für ein vollständiges Angebot? Wie gehst du mit Sonderwünschen um? Wann sagst du Nein zu einem Auftrag? Wenn diese Prozesse nicht klar definiert sind, produziert die KI nur strukturiertes Chaos.

SBZ: Okay, so weit die Theorie. Aber wie gehe ich vor, um Prozesse KI-fähig zu machen?

Was regelmäßig nervt, gehört ­automatisiert, nicht noch mal ­gemacht.

Moortz: Wer seine Prozesse nicht kennt, weiß nicht, welche Schnittstellen er braucht. Deshalb ist der erste Schritt die Bestandsaufnahme: Wie läuft ein typischer Auftrag ab? Welche Entscheidungen triffst du wann? Wo entstehen Verzögerungen? Was nervt dich regelmäßig? Dann optimierst du vor der Automatisierung. Fang damit an, was du schon gut kannst, aber was nervt und Zeit kostet. Erst wenn ein Prozess funktioniert, kann ihn die KI übernehmen. Dann folgt die KI-Integration: Was regelmäßig nervt, gehört automatisiert – nicht noch mal gemacht.

SBZ: Das erinnert mich an den Psychologen und Buchautor Daniel Kahneman und seine Theorie über schnelles und langsames Denken. Siehst du da Parallelen zur KI-Nutzung im Handwerk?

Moortz: Absolut! Das ist ein fantastischer Vergleich. Kahneman unterscheidet zwischen zwei Denkweisen, die auch im Handwerk täglich aufeinandertreffen. Das schnelle Denken läuft automatisch ab – wie bei einem erfahrenen Handwerker, der auf die Baustelle kommt und sofort sieht: „Das ist schief“, „Der Putz bröckelt“ oder „Die Rohre sind zu eng verlegt“. Das sind Blitzdiagnosen durch jahrelange Erfahrung. Aber es führt auch zu übereilten Kalkulationen oder spontanen Zusagen ohne Machbarkeitsprüfung.

SBZ: Und das langsame Denken?

Moortz: Das langsame Denken ist wie das genaue Nachmessen mit dem Maßband oder das detaillierte Durchrechnen einer Kalkulation. Es ist präzise, vermeidet teure Fehler – aber es ist anstrengend, zeitaufwendig und unterbricht den Arbeitsfluss. Hier kommt die KI ins Spiel: Sie kann als intelligenter Verstärker für beide Denksysteme fungieren.

SBZ: Wie das?

Moortz: KI verstärkt das schnelle Denken: ­Fotos von Baustellen werden in Sekunden analysiert, Materialfehler automatisch erkannt, sofortige Kostenschätzungen durch Bildauswertung möglich. Gleichzeitig verstärkt sie das langsame Denken: Komplexe Kalkulationen werden automatisch erstellt, Normen und Vorschriften automatisch geprüft, Projektplanung berücksichtigt alle Faktoren. Ein Beispiel: Bei einer Bade­zimmersanierung erkennt der Handwerker sofort: Hier ist Schimmel, die Fliesen sind ­locker. Die KI analysiert die Fotos, prüft die Bausubstanz, kalkuliert Material- und Arbeitskosten, erstellt einen Zeitplan. Ergebnis: In zehn Minuten liegt ein fundiertes Angebot vor statt zwei Stunden Büroarbeit.

SBZ: Ist das schon Realität oder noch Zukunftsmusik?

Moortz: Das passiert bereits heute! Schau in die Medizin: 157 Hautärzte von zwölf deutschen Universitätskliniken traten gegen eine KI an bei der Hautkrebsdiagnose. Nur sieben Ärzte schnitten besser ab als der Algorithmus. Die KI erkannte schwarzen Hautkrebs präziser als erfahrene Fachärzte. Übertragen aufs Handwerk bedeutet das: KI kann Schäden an Gebäuden früher erkennen, ­Materialfehler per Bildanalyse aufspüren, Wartungsintervalle optimal berechnen, Qualitätskontrolle automatisieren.

Wenn Prozesse nicht klar definiert sind, produziert KI nur strukturiertes Chaos.

SBZ: Zurück zu den Prozessen. Du erwähntest eben die Bedeutung von Schnittstellen. Magst du das noch mal vertiefen?

Moortz: Nicht nur die Autobahnbrücken sind marode – auch die Brücken zwischen Programmen sind veraltet! Moderne KI-Integration braucht funktionierende Schnittstellen: GAEB für Ausschreibungen, Datanorm für Produktdaten, IDS für Sicherheitsdatenblätter, REST-APIs für moderne Softwareverbindungen. Schnittstellen werden über den Erfolg der Automatisation entscheiden. Ohne sie bleibt KI ein isoliertes Tool statt ­eines integrierten Assistenten.

SBZ: Was sind denn die größten Fehler, die Handwerker beim KI-Einsatz machen können?

Moortz: Der größte Fehler ist, KI als Allheilmittel zu sehen. Wer mir zeigt, wie man mit einem Schweizer Taschenmesser ein Haus baut, dem suche ich die eine Software, die alles kann. KI muss in bestehende Systeme integriert werden, nicht als separate Lösung existieren. Ein anderer Fehler: KI ohne Vorbereitung einsetzen. Nicht die KI macht den Unterschied – sondern die Vor­bereitung auf ihren Einsatz.

SBZ: Na ja, das ist doch wie immer, die Dinge ­ändern sich, und wir müssen am Ball bleiben.

Moortz: Nein, ganz so einfach ist es eben nicht. Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel. Früher dachten wir: KI macht bestehende Aufgaben schneller. Das ist Optimierung. Aber die Zukunft ist Transformation: KI ermöglicht völlig neue Arbeitsweisen. Nimm die Angebotserstellung: Früher hast du tagelang Kalkulationen erstellt. Optimiert beschleunigt Software die Kalkulation. Transformiert analysiert die KI den Auftrag, prüft die Machbarkeit, kalkuliert automatisch und erstellt ein maßgeschneidertes Angebot – du musst nur noch freigeben.

SBZ: Das klingt, als könnte KI Arbeitsplätze ersetzen.

Moortz: Die besten Unternehmen der Zukunft steuern die KI so, dass alle merken: Ohne den Menschen geht es nicht. KI wird nicht ersetzen, sondern verstärken. Beim Fachkräftemangel hilft KI dabei, mit weniger Personal mehr zu schaffen. Automatisierung reduziert den Papierkram drastisch. KI sorgt für gleichbleibend hohe Standards und schnellere Reaktionszeiten. KI ist kein Ersatz für die Persönlichkeit deines Unternehmens – aber sie ist dein kreativster Sparringspartner.

KI braucht Kontext, klare Anweisungen und strukturierte ­Eingaben.

SBZ: Was bedeutet das konkret für die Mitarbeiterführung?

Moortz: Arbeitgeber glauben oft, es liegt an der Belastung – doch was Menschen wirklich vertreibt, sind fehlende Klarheit und mangelnde Strukturen. KI kann diese Strukturen schaffen und Klarheit bringen. Die neuen KI-Modelle sind wie ein eingespieltes Team: Einer redet, einer schaut, einer denkt nach – und einer fängt schon mal an. So werden auch die Arbeitsplätze: multimodal, vernetzt, aber immer mit dem Menschen als Chef.

SBZ: Welche Ansätze empfiehlst du Handwerksbetrieben für den Einstieg?

Moortz: Drei kritische Erfolgsfaktoren: Erstens, eigene Daten als Wettbewerbsvorteil nutzen. Wer seine Daten strukturiert und der KI zur Verfügung stellt, bekommt maßgeschneiderte Lösungen. Zweitens, Prozesse beherrschen vor Auto­matisierung. Was du nicht beherrschst, kann die KI auch nicht können. Drittens, Integration statt Isolation. KI muss in bestehende Systeme integriert werden.

SBZ: Hast du ein Beispiel für den ersten Schritt?

Moortz: Ja! Fang mit dem an, was regelmäßig nervt. Angebotserstellung, Rechnungsprüfung, Baustellenberichte – alles, was Zeit kostet, aber standardisierbar ist. KI und Prozessautomatisation sind nicht die Zukunft – sondern jetzt dein Vorsprung. Wer wartet, bis alle anderen angefangen haben, hat schon verloren.

SBZ: Wenn du in die Zukunft blickst, wo steht das SHK-Handwerk in zehn Jahren?

Moortz: Vom Feuer über den Computer bis zur KI – jede Technologie hat uns erweitert, nicht ersetzt. KI ist der nächste logische Schritt: Sie erweitert unser Denken, unsere Kreativität, unsere Problemlösungsfähigkeit. Die Chance liegt jetzt vor uns. Wer sie nutzt, wird in zehn Jahren nicht mehr verstehen, wie es früher ohne KI ging. Wer sie verpasst, wird sich fragen, warum die Konkurrenz plötzlich so viel effizienter ist. Die Evolution wartet nicht. Sie findet statt – mit oder ohne uns.

SBZ: Thorsten, vielen Dank für dieses lange Gespräch und die praktischen Einblicke in die KI-­Zukunft des Handwerks.

Moortz: Sehr gerne! Und denk daran: Digitalisierung heißt nicht mehr Technik – sondern weniger Stress.

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