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Rechtsprechung

Widerrufsrecht: Verbraucher bekommt vom EuGH Recht

Rechtsanwalt Dr. jur. Hans-­Michael Dimanski.

Dimanski

Rechtsanwalt Dr. jur. Hans-­Michael Dimanski.

Allen, die das seit 2014 für Verbraucher bestehende Widerrufsrecht in ihrer handwerklichen Vertragspraxis nicht ernst nehmen, dürften spätestens jetzt die Schweißperlen auf die Stirn treten.

In einem Rechtsstreit, ursprünglich vor dem LG Essen begonnen und vom EuGH (EuGH Urt. v. 17.5.2023 – C-97/22, ECLI:EU:C:2023:413 – DC) dann abschließend entschieden, bekam ein Verbraucher Recht und brauchte die Vergütung für eine Werkleistung nicht zu zahlen, weil der Unternehmer seine rechtlichen Verpflichtungen zur Widerrufsbelehrung missachtet hatte.

Ähnlich, wie auch schon bei einem Fall zum Einbau einer Wärmepumpe, der 2022 vor dem OLG Celle (OLG Celle, Urteil vom 12.01.2022 -14 U 111/21) verhandelt worden war, ging es um die Frage, wann und wo der Vertrag zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer abgeschlossen wurde. Wird der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen, besteht die Verpflichtung zur Widerrufsbelehrung.

Auch die neue Entscheidung des EuGH besitzt beachtliche praktische Bedeutung für das Handwerk und hat auch schon diverse „Scharfmacher“ im Internet und bei YouTube gefunden, die Ratschläge für kreative Schuldner erteilen. Nicht nur ab jetzt, sondern auch schon bei in der Vergangenheit abgeschlossenen Verträgen droht ein beachtliches Prozessrisiko, weil wirksame Widerrufe noch bis zu einem Jahr nach längst beiderseitig erfüllten Werkverträgen erklärt werden können.

Der Ort des Vertragsabschlusses ist entscheidend

Werkverträge zu Reparaturen (z.B. Werkverträge nach § 631 BGB) oder zur Neuerrichtung haustechnischer Anlagen, wenn sie für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Bauwerks von wesentlicher Bedeutung sind (Bauverträge nach § 650 a BGB) können bekanntlich auf verschiedene Weise und an unterschiedlichen Orten abgeschlossen werden. In vielen Fällen gehen den Vertragsschlüssen Ortsbesichtigungen, Aufmaße oder Besprechungen mit dem Verbraucher am Einbauort voraus. Die Tatsache, dass die Vertragsanbahnung vom Verbraucher ausgeht, lässt per se noch nicht die Informations- und Widerrufsbelehrungspflichten für den Handwerker verschwinden. Ganz im Gegenteil: wird nun auch gleich oder später der Vertrag in den Räumen des Verbrauchers abgeschlossen, kann der Verzicht auf die Widerrufsbelehrung im Totalausfall der Vergütung enden.

Anders ist es in den „klassischen“ Fällen, bei denen der Verbraucher in der Handwerksfirma anruft, der Handwerker sich die Baustelle ansieht, ein Angebot unterbreitet, dem Verbraucher später das Angebot (z.B. per Post oder Mail) zuleitet und der Verbraucher dann seinen Willen zur Auftragserteilung nicht im Beisein des Unternehmers oder seines rechtsgeschäftlichen Vertreters bekundet. Wenn diese Erklärung dem Handwerker noch zugehen muss, wiederum später per Post oder Mail oder durch die spätere direkte Beauftragung in den Geschäftsräumen, entsteht kein Widerrufsrecht, weil Ort und Zugang der Willenserklärung und damit der Vertragsschluss dann nicht außerhalb von Geschäftsräumen liegen. 

Die Gerichte werden das Vorliegen eines „Außer-Geschäftsraum-Vertrages“ aber weit auslegen und somit zur Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB kommen. Demnach liegt ein Vertrag, der mit einem Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen nach § 312 b Abs. 1 Nr. 1 BGB abgeschlossen wird dann vor, wenn der Unternehmer, durchaus auch erst auf diesbezügliche „Einladung“ oder „Aufforderung“ durch den Verbraucher, den Vertrag (erst) in dessen Wohnung mit ihm schließt (BGH Urt. v. 30.8.2018 – VII ZR 243/17, Rn. 18).

Wann ist eine Widerrufsbelehrung nötig? 

Die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher ist an keine Gründe gebunden. Die Motivation des Verbrauchers, einen Vertrag zu widerrufen ist unbeachtlich. Das bedeutet, dass für einen Handwerker praktisch keine Ausnahmesituation in Betracht kommt, von einer notwendigen Widerrufsbelehrung entbunden zu sein.

Der Ausschluss des Widerrufsrecht nach Maßgabe von § 312 g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB, sofern die Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind, trägt bei den Werkverträgen nicht. Gerade weil viele handwerkliche Leistungen in ihrem Vertragsschwerpunkt darauf gerichtet sind, dass Schwerpunkt der Vertragserfüllung in der Herstellung eines funktionstauglichen Werkes liegt, demnach ein Werk- und kein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vorliegt, ist die Widerrufsbelehrung nötig. Im entschiedenen Fall haben auch keine dringenden Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten stattgefunden, so dass auch ein Ausnahmegrund vom Widerrufsrecht nach § 312 g Abs. 2 Nr. 11 Hs. 1 BGB nicht vorlag.

Das passiert nach erfolgtem Widerruf

Widerruft der Verbraucher, wofür er bei fehlender Widerrufsbelehrung 1 Jahr und 14 Tage ab Vertragsschluss Zeit hat, verliert der abgeschlossene Vertrag von Anfang an seine Wirksamkeit (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB). Was nun konkret daraus folgt, ist für den Handwerker bitter. Grundsätzlich sind nach erfolgtem Widerruf beiderseitig die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Da naturgemäß die ausgeführten Leistungen im Rahmen von Werkverträgen, z.B. nach einem Heizungseinbau, nicht mehr ohne Weiteres herauszugeben sind, weil sie Bestandteile des Gebäudes geworden sind, steht die Frage nach einem Wertersatz. Die Leistung eines Wertersatzes für das, was der Verbraucher erlangt hat, steht wiederum unter besonderen Voraussetzungen, dass ein Unternehmer auch darüber den Verbraucher hinreichend zu belehren hat (§ 357 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB iVm Art. 246 a § 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB). Fehlt diese Belehrung, so die Entscheidung des EuGH, führt das hohe Verbraucherschutzniveau der Verbraucherrechterichtlinie (Art. 1 RL 2011/83/EU) dazu, „einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien“ (vgl. EuGH Urt. v. 17.5.2023 – C-97/22, Rn. 34).

Die EuGH-Entscheidung ist dramatisch aber keine Überraschung. In den gesetzlichen Festlegungen sind Pflichten und Folgen der Pflichtverletzungen seit 2014 geregelt. Überraschend ist eher, dass die Regelungen nach nunmehr fast 10 Jahren auch die breite Öffentlichkeit erreichen und sich das Handwerk offensichtlich erst vor der Brisanz des gerichtlich bestätigten Werklohnausfalls auf die Belehrungspflichten einstellen wird.

Formular zur Widerrufsbelehrung

Für die handwerkliche Praxis bedeutet die erwartbare Rechtsprechung entweder, sorgfältig darauf zu achten, mit Verbrauchern außerhalb der eigenen Geschäftsräume keine Verträge mehr abzuschließen oder aber – was nur einen kleinen zusätzlichen Aufwand bedeuten dürfte – sich das Formular zur Widerrufsbelehrung vom Verbraucher unterzeichnen zu lassen. Für den Fall, dass dann die Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht abgewartet werden soll, ist der Verbraucher weiterhin über die Modalitäten des dann ggf. zu leistenden Wertersatzes aufzuklären, was wiederrum dokumentiert werden sollte.

Die entsprechenden Handlungsanleitungen und Formulare zum Widerrufsrecht der Verbraucher halten die Verbandsorganisationen bereit.

Wohlgemerkt: Die Entscheidung bedeutet keine Veränderung in der Rechtslage zum Widerrufsrecht. Ein Widerrufsrecht steht dem Verbraucher auch nicht bei jedem Vertragsschluss zu Seite, aber wann es entsteht und wie dann damit umzugehen ist, sollte allen Handwerkern bekannt sein. Wissensdefizite werden teuer.

Für den faden Beigeschmack, eines überzogenen, bürokratieüberladenen und außer Verhältnis stehenden Verbraucherschutzes sind allerdings nicht die Gerichte verantwortlich, sondern die politischen und regelsetzenden Gremien im europäischen praxisfernen Bürokratenstadel.

Autor: Dr. jur. Hans-­Michael Dimanski