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Wird Sprit fit fürs Klima?

Seit Jahren steht der Verkehrssektor in Deutschland in der Kritik, weil dieser Bereich insgesamt gesehen bislang keinen wirksamen Beitrag zur Reduzierung schädlicher Treibhausgase leistet. Auf der Suche nach einer Lösung kommt in der öffentlich geführten Debatte darüber häufig die Frage auf: Warum wird in Sachen Elektromobilität nicht endlich mehr bewegt? Doch selbst auf diesen Aspekt lässt sich keine simple Antwort finden.

Auch wenn sehr viel mehr Elektrofahrzeuge auf die Straßen kämen, würde dies vielleicht innerhalb von Ballungsräumen in Bezug auf schädliche Emissionen Wirkung zeigen. Doch dadurch wären keine Antworten gefunden auf global bestehende Probleme, die sich durch die CO2-Belastung von Fahrzeugen ergeben.

Veto gegen Verbrennerverbot

Vor diesem Hintergrund erscheint das Veto des deutschen Verkehrsministers gegenüber einem grundsätzlichen Verbot der EU-Kommission für Verbrennerfahrzeuge als wichtiger Schritt zurück zur Technologieoffenheit. Kritiker sahen darin zwar gleich eine Klientel-Politik für eine (ewig gestrige) Verbrennerlobby bzw. den Profilierungsversuch einer kleinen Regierungspartei. Doch diese Betrachtungsweise berücksichtigt nicht die Komplexität der Thematik und deutet das Veto des Verkehrsministers falsch. Denn seit mehr als fünf Jahren, weit vor der Amtszeit des Ministers, wurde und wird mit sehr viel Geld in Europa und anderswo daran geforscht, wie man vom Rohöl samt seiner klimaschädlichen Treib­haus­gase wegkommen kann.

Schon 2018 zeigte beispielsweise eine viel beachtete Prognos-Studie auf, dass das Langzeitziel 2050 (Stopp von Treibhausgasemissionen) nur dann erreicht werden könne, wenn flüssige Energieträger wie Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl künftig nicht mehr aus Erdöl hergestellt werden. Weil die Zeit dränge, müsse man mit der Umsetzung jedoch sofort beginnen, ließ sich daraus ableiten.

Das bedeutet auf den Punkt gebracht: Kein „Entweder-oder“ taugt als Wegweiser zur drastischen Reduzierung von schädlichem Treibhaus­gas, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Allein auf Europa bezogen reicht es bei Weitem nicht, wenn Brüssel allein der Elektromobilität den Weg frei machen und das Aus für neue Verbrennermotoren besiegeln würde. Auch für viele andere Sektoren, in denen Verbrennungsprozesse schädliche Emissionen verursachen, müssen radikale Verbesserungen her, die eine Technologieoffenheit als grundsätzliche Voraussetzung benötigen.

Viele Arten von E-Fuels: Hersteller haben auch Mischungsverhältnisse von fossilem und synthetisch erzeugtem Sprit geprüft.

Bild: Bosch

Viele Arten von E-Fuels: Hersteller haben auch Mischungsverhältnisse von fossilem und synthetisch erzeugtem Sprit geprüft.

E-Fuels provozieren Pro und Contra

Auf Basis einer Technologieoffenheit haben Forschung und Entwicklung mittlerweile Designer-Kraftstoffe – sogenannte E-Fuels – bis zur Marktreife gebracht. Ein Verfahren zur Herstellung solch synthetischer Kraftstoffe besteht beispielsweise darin, Wasserstoff und Kohlenstoff mithilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen in einen flüssigen Energieträger umzuwandeln. Der Kohlenstoff kann aus der Luft oder aus Biomasse gewonnen werden. Synthetische Kraftstoffe können zudem deutlich CO2-ärmer verbrennen als herkömmlicher Sprit. Die Entwicklungsarbeit dazu gilt als abgeschlossen, eine Massenproduktion ist allerdings erst im Anfangsstadium.

Der Nachteil: Das Herstellungsverfahren benötigt große Mengen an regenerativer Energie, der Gesamt-Wirkungsgrad (Well to Wheel) liegt deshalb nur bei 10 bis 15 %, wie der ADAC ermittelt hat. Dagegen sollen beim Elektrofahrzeug 70 bis 80 % der Ausgangsenergie am Rad ankommen. In einer griffigen Formel wirkt dies verständlicher: Ein E-Fuels-Fahrzeug braucht für die gleiche Strecke drei- bis fünfmal mehr elektrische Energie als ein E-Auto, das den Strom direkt nutzt.

Bei E-Fuels ist allerdings von großer Bedeutung, dass die Verbrennung zwar eine CO2-Emission verursacht, diese jedoch mit der Menge gleichzusetzen ist, die vorher bei der Herstellung des synthetischen Kraftstoffs gebunden wurde. Dies kommt einer Kreislaufwirtschaft gleich.

Der Vorteil: Somit entsteht keine zusätzliche Klimabelastung. Die Infrastruktur aus Pipelines, Tanklagern, Tankstellen und auch die bestehenden Automobile mit Otto- oder Dieselmotoren könnten für E-Fuels auch weiterhin genutzt werden – weltweit und für unzählige Verbraucher. Bereits eine Beimischung von Designer-Sprit mit 10, 30 oder 50 % zu einem herkömmlichen Kraftstoff kann die CO2-Emission durch den Straßenverkehr beträchtlich senken.

Automobilclub beteiligt sich an Tests

Der ADAC hat mit einer Reihe unterschiedlicher Fahrzeuge bis hin zum Oldtimer getestet, wie E-Fuels in der Praxis eingesetzt werden können und ob im Dauereinsatz bei der Verbrennung oder an Dichtungen und Leitungen Schäden erkennbar werden. Als Resümee lässt sich sehr verkürzt beschreiben: Wenn eine Freigabe durch den Hersteller für das jeweilige Benziner- oder Dieselmodell besteht, können E-Fuels nicht nur die CO₂-Bilanz bei der bestehenden Fahrzeugflotte verbessern, sondern im geringfügigen Maß auch die Schadstoffemissionen reduzieren (z. B. durch niedrigen Aromatengehalt). Designer-Kraftstoffe wären damit eine gute Ergänzung zum Markthochlauf der Elektromobilität.

Fahrzeughersteller sieht großes Potenzial

Wie viele Fahrzeuge infrage kommen könnten, beziffert der Markenverbund Stellantis (unter anderem mit Citroën, Fiat, Opel und Peugeot) derzeit auf insgesamt 28 Millionen allein für die selbst hergestellten Fahrzeuge in Europa. Auf Tauglichkeit geprüft wurden 24 Motorenfamilien, die seit 2014 für Verbrenner gebaut wurden. Umfangreiche Tests in Zusammenarbeit mit dem Energie- und Chemieunternehmen Aramco haben ergeben, dass E-Fuels in bestimmten Zusammensetzungen bei diesen Fahrzeugen verwendet werden können, ohne dass Änderungen am Antriebsstrang vorgenommen werden müssten. Im Vergleich zu herkömmlichem Sprit könnten so die CO2-Emissionen (über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs gemessen) um mindestens 70 % gesenkt werden, teilten die beiden Kooperationspartner Anfang September 2023 mit.

Unter Beobachtung: In zahlreichen Tests ging es bereits bei etlichen Fahrzeugen um Verbrauch, Emissionen oder Materialbeständigkeit von Komponenten.

Bild: ADAC

Unter Beobachtung: In zahlreichen Tests ging es bereits bei etlichen Fahrzeugen um Verbrauch, Emissionen oder Materialbeständigkeit von Komponenten.

Millionen Verbrenner emittieren jahrzehntelang

Insgesamt sind in Deutschland 49 Millionen und innerhalb von Europa etwa 260 Millionen Fahrzeuge zugelassen – mit steigender Tendenz in den letzten zehn Jahren. Damit diese Masse an Fahrzeugen über die zu erwartende Betriebszeit von durchaus 25 Jahren einen aktiven Beitrag zu einem geringeren Schadstoffausstoß leisten könnte, sehen Branchenkenner in E-Fuels die einzige Möglichkeit.

Angebot wird Nachfrage vermutlich nicht gerecht

Um den überaus großen Bedarf an E-Fuels zu decken, müssten Produktionsanlagen in vielen wind- und sonnenreichen Regionen der Erde entstehen, weil für die Basisproduktion der E-Fuels dort regenerative Energien im Übermaß vorhanden sind. Zwar besetzen klassische Mineralölkonzerne und weitere innovative Unternehmen diesen Zukunftsmarkt, doch Energieexperten haben ausgerechnet, dass die Nachfrage allein in Deutschland auch in einem Dutzend Jahren so groß ist, dass das Angebot nicht reichen wird.

Auch diskutiert man in Fachkreisen kontrovers darüber, ob Verbrennerfahrzeuge mit E-Fuels bevorzugt beliefert werden sollten. Stattdessen sollte man primär Sektoren wie den Flug- und Schiffsverkehr sowie die Chemieindustrie berücksichtigen, weil sie als noch weit abhängiger von fossiler Energie eingestuft sind.

Literpreis noch nicht präzise bestimmbar

Deshalb erübrigt es sich derzeit eigentlich auch, über einen Literpreis zu spekulieren, der für E-Fuels in vielen Jahren an der Tankstelle verlangt werden könnte. Doch es gibt Prognosen: Ging man vor fünf Jahren noch davon aus, dass sich die synthetischen Kraftstoffe zu Kosten zwischen 70 Cent und 1,30 Euro je Liter erzeugen ließen (je nach Rahmenbedingungen), so geht eine aktuelle Berechnung der Mineralölwirtschaft von
einem Herstellungspreis von 80 Cent pro Liter aus.

Erhebliche Bedeutung hat zudem, dass der Sprit von morgen für die Bevölkerung bezahlbar bleibt, sonst mangelt es an der dringend benötigten Akzeptanz in der Gesellschaft. Schließlich kommen vermutlich noch Steuern oder Aufschläge durch eine etwaige CO2-Bepreisung hinzu – oder auch gerade nicht, weil sich der Kraftstoff als wesentlich klimaschonender erweist. (TD)

Vereinfachte Darstellung: Wasserstoff, Kohlenstoff und Strom stellen den flüssigen Energieträger her, der zu Kraftstoff weiterverarbeitet ­werden kann.

Bild: Porsche

Vereinfachte Darstellung: Wasserstoff, Kohlenstoff und Strom stellen den flüssigen Energieträger her, der zu Kraftstoff weiterverarbeitet ­werden kann.

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