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Hydraulischer Abgleich heute – SBZ-Serie, Teil 2

Kein hydraulischer Abgleich ohne Verständnis für das ganze System

Wer eine Heizanlage korrekt hydraulisch abgleichen will, muss zuerst das System Heizung in seiner Gesamtheit verstehen. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Denn in der Praxis zeigt sich immer wieder, dass abgleichbezogene Maßnahmen nicht oder allenfalls ansatzweise von einem grundlegenden Systemgedanken ausgehen und deshalb Stückwerk, wenn nicht sogar wirkungslos bleiben. Tatsächlich aber ist eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich, wenn eine Anlage bestmöglich eingestellt werden soll. Denn jede Heizanlage ist ein komplexes System mit einer Vielzahl interner Wechselwirkungen – wird eine der Stellschrauben dieses Systems bewegt, so hat dies unmittelbare Auswirkungen auf das System als Ganzes.

Der hydraulische Abgleich kann seine Funktion als Baustein der Systemoptimierung also nur dann wie vorgesehen erfüllen, wenn er aus der Perspektive des Gesamtsystems heraus gedacht und angegangen wird. Der Heiztechniker muss deshalb stets das System als Ganzes (mit seinen Teilbausteinen zur Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Übergabe von Wärme) im Blick haben – und er muss wissen, worauf zu achten ist, damit dieses Ganze als Einheit funktioniert. Erst wenn dieses grundlegende Verständnis erreicht ist – und zwar generell und übertragen auf jedes Objekt –, erst dann kann der hydraulische Abgleich erfolgreich durchgeführt werden und die ihm zugedachte Rolle als Optimierungsbaustein übernehmen.

Der Wärmebedarf des Gebäudes und die raumweise Heizlast

Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Heizungssystem und damit zum hydraulischen Abgleich muss das zu beheizende Gebäude selbst sein. Das mag zunächst überraschen, da auch in der Fachdiskussion oft beim Wärmeerzeuger angefangen wird. Die technologische Herausforderung beim Heizen besteht aber nun einmal darin, ein Gebäude bedarfsgerecht und zugleich so energieeffizient wie möglich zu erwärmen.

Jede Heizungsanlage ist als Teil des übergeordneten Systems Haus zu betrachten. Ihre einzige, wenn auch anspruchsvolle Aufgabe besteht darin, den Wärmebedarf dieses Hauses zu decken. Das umfasst im Normalfall das kom­fort­orientierte Beheizen der Räume und die hygienisch sichere Bereitstellung von Trinkwarmwasser. Die Dimensionierung und Auslegung einer Heizanlage ist stets darauf ausgerichtet, die entsprechenden Bedarfe zu erfüllen. Alles heiztechnische Systemdenken beginnt deshalb korrekterweise beim Gebäude – und somit auch das Nachdenken über den hydraulischen Abgleich.

Der Heiztechniker muss im ersten Schritt das zu beheizende Gebäude und dessen Wärmebedarf verstehen – die sogenannte Heizlast. Dieser Wärmebedarf aber wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, von denen die zu beheizende Grundfläche noch der unkomplizierteste ist. Sie spielt selbstverständlich auch eine maßgebliche Rolle, aber eben nicht die entscheidende, wie jeder weiß, der jemals die Heizanlage einer Altbauwohnung mit hohen Decken konfigurieren sollte. Geschossaufteilung und Raumhöhe; Fenster, Balkone und Terrassen; Außenwände und Dach; die Anordnung beheizter und unbeheizter Räume; Wärme- und Kältebrücken wie etwa direkt mit dem Gebäude verbundene Balkonböden; die Minderung von Wärmeverlusten durch Innen- oder Außenwanddämmung, mehrfachverglaste Fenster und Dach- bzw. Bodenisolierung – alles das und vieles mehr hat neben der Grundfläche ebenfalls Einfluss auf den Wärmebedarf. Jede Änderung an einem dieser Parameter wirkt sich auf das Ganze aus.

Hinzu kommt: Der Wärmebedarf des Gebäudes in seiner Gesamtheit taugt nur bedingt als Orientierungsgröße. Zwar reicht die Kenntnis dieses Bedarfes aus, um die Heizleistung zu bestimmen, die der Wärmeerzeuger nicht unterschreiten darf. Sie genügt aber nicht, um die Anforderungen an die Heizanlage als Gesamtsystem adäquat zu erfassen. Denn die Vielzahl bedarfsrelevanter Faktoren bringt es mit sich, dass sich der Wärmebedarf einzelner Räume oft deutlich unterscheidet – und das keineswegs nur aufgrund ihrer Größe. Warum, zeigt ein einfaches Beispiel: Besitzen zwei Räume dieselbe Grundfläche und Höhe, aber nicht dieselbe Zahl von Außenwänden und unterscheiden sie sich zudem in Anzahl und Größe der Fenster, so ergeben sich trotz identischer Maße unterschiedliche Wärmebedarfe.

Auch ob beheizte Räume von anderen beheizten Räumen umgeben sind oder an einen oder mehrere unbeheizte Räume grenzen, führt oft zu erheblichen Bedarfsunterschieden. Im Hinblick auf die Anforderungen an eine Heizanlage geht es daher immer um die sogenannte raumweise Heizlast. Sie ist deshalb auch mit Blick auf den hydraulischen Abgleich die entscheidende Richtgröße: Die Verteilung des Heizwassers hat so zu erfolgen, dass der Wärmebedarf jedes einzelnen Raums innerhalb des Gebäudes gedeckt wird.

Um eine Heizanlage optimal einzustellen, muss der Heiztechniker wissen, worauf zu achten ist, damit das Ganze als Einheit funktioniert.

Bild: Danfoss

Um eine Heizanlage optimal einzustellen, muss der Heiztechniker wissen, worauf zu achten ist, damit das Ganze als Einheit funktioniert.

Die Wärmeübertrager: Heizkörper und Heizflächen

Zweiter Schritt zum Verständnis des Systems Heizung ist die Beurteilung der vorhandenen Wärmeübertrager, also der Heizkörper oder Heizkreise, welche die vom Wärmeerzeuger bereitgestellte Heizwärme an die zu beheizenden Räume abgeben sollen. Die Leistung dieser Übertrager wird im Bestand gelegentlich pauschal mit dem Wärmebedarf des Gebäudes in eins gesetzt – der Heiztechniker nimmt also an, dass die Übertrager den Bedarf genau decken, und leitet dementsprechend aus ihrer Leistung auch den Wärmebedarf des Gebäudes bzw. seiner einzelnen Räume ab. Doch solche Überlegungen gehen fehl, denn Übertragerflächen können auch so dimensioniert sein, dass eine Über- oder Unterdeckung des Wärmebedarfs gegeben ist. Die Übertrager geben also weder eine verlässliche Auskunft über diesen Bedarf noch werden sie ihm automatisch gerecht. Insofern muss vom tatsächlichen Wärmebedarf ausgegangen und auf dieser Basis die Beurteilung der Übertrager vorgenommen werden.

Dass diese Beurteilung ebenfalls alles andere als trivial ist, zeigen auch hier schon einfache Beispiele: Ändert sich durch Wanddämmung und Fenstertausch der Wärmebedarf eines Raumes, kann ein Heizkörper, der zuvor exakt dimensioniert war, plötzlich überdimensioniert sein – oder umgekehrt ein vormals unterdimensionierter Heizkörper den Bedarf problemlos decken. Auch der Austausch des Wärmeerzeugers kann alles verändern: Heizkörper, die bei einer Gasheizung völlig ausreichend waren, sind womöglich kritisch zu bewerten, wenn auf eine Wärmepumpe oder Niedertemperaturfernwärme umgestellt wurde und dadurch eine Absenkung der Systemtemperaturen notwendig wird. Solche kritischen Heizkörper kann es – je nach Dämmstatus und Lage innerhalb des Hauses – nur in einzelnen Räumen, aber auch gebäudeübergreifend geben; ein Austausch ist dann womöglich unumgänglich.

„Die raumweise Heizlast ist mit Blick auf den
hydraulischen Abgleich die entscheidende Richtgröße.“

Die internen Wechselwirkungen des Systems Heizung werden an solchen Exempeln sehr schön deutlich. Wird ein Teil des Systems verändert, ändert sich alles – und mit jeder Änderung ändern sich dann natürlich auch die Anforderungen an die Anlagenkonfiguration und nicht zuletzt an den hydraulischen Abgleich. Ob vorhandene Heizkörper den Bedarf genau decken oder ob man es nach einer Dämmungsmaßnahme mit überdimensionierten Heizkörpern zu tun hat, das hat Einfluss auf die gesamte Hydraulik inklusive der Einstellung der Heizungsumwälzpumpe.

Der Wärmebedarf eines Gebäudes wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Geschossaufteilung und Raumhöhe; Fenster, Balkone und Terrassen; Außenwände und Dach; die Anordnung beheizter und unbeheizter Räume; die Minderung von Wärmeverlusten durch Innen- oder Außenwanddämmung, mehrfachverglaste Fenster und Dach- bzw. Bodenisolierung – all das wirkt sich auf den Wärmebedarf aus.

Bild: Danfoss

Der Wärmebedarf eines Gebäudes wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Geschossaufteilung und Raumhöhe; Fenster, Balkone und Terrassen; Außenwände und Dach; die Anordnung beheizter und unbeheizter Räume; die Minderung von Wärmeverlusten durch Innen- oder Außenwanddämmung, mehrfachverglaste Fenster und Dach- bzw. Bodenisolierung – all das wirkt sich auf den Wärmebedarf aus.

Das Verteilnetz und seine Elemente

Mit der Beurteilung von Wärmebedarf und Wärmeübertragern ist die Erfassung des Systems Heizung längst nicht abgeschlossen. Denn die Wärmeübertrager sind nur die Endgeräte eines komplexen Verteilsystems, das die bereitgestellte Heizwärme durch das Gebäude transportiert. Zwischen ihnen und dem Wärmeerzeuger erstreckt sich bekanntlich das Verteilnetz mit Umwälzpumpe, Heizungsrohren sowie Strang- und Heizkörperventilen. Ihm obliegt die Wärmeverteilung – und es ist deshalb auch die ureigenste Spielwiese des hydraulischen Abgleichs, dessen Ziel ja darin besteht, das Heizwasser so bedarfsgerecht wie möglich zu verteilen.

Bevor man über diese Verteilung vertiefend nachdenken kann, gilt es aber auch hier, die grundlegenden Systemzusammenhänge zu verstehen. Schwierigster Punkt ist dabei oft das Rohrnetz. Während es im Neubau meist gut dokumentiert oder leicht zu berechnen ist, hat es im Bestand oft den Charakter einer Landkarte mit großen weißen Flecken, da zu Parametern wie Länge, Material, Dämmung, Verschmutzung oder Einzelwiderstand häufig keine Informationen vorliegen. Da sich das Rohrnetz nicht ohne erheblichen baulichen Aufwand austauschen lässt, besitzt es jedoch meist den Status einer unveränderlichen Größe, mit der ein Heiztechniker umgehen muss, ohne sie genauer zu kennen. Zwecks besserer Orientierung werden dann im Vorfeld des hydraulischen Abgleichs oft Schätz- oder Durchschnittswerte herangezogen.

Zudem muss der Techniker weit öfter als vermutet damit leben, dass beispielsweise aufgrund schlechter Rohrisolierung nicht bei allen Heizkörpern dieselbe Vorlauftemperatur vorhanden ist. Insbesondere in den neuen Bundesländern, aber auch im süddeutschen Raum sind zudem noch überraschend viele Wohngebäude mit technologisch veralteten Einrohranlagen zu finden, bei denen Vor- und Rücklauf der Heizkörper an eine gemeinsame Ringleitung angeschlossen sind – mit dem Ergebnis, dass die Vorlauftemperatur von Heizkörper zu Heizkörper sinkt. Solche Anlagen effektiv hydraulisch abzugleichen, das erfordert andere Vorgehensweisen als bei den heutigen Zweirohrsystemen, der Fokus liegt dann beispielsweise auf den Durchflussreglern im Strang.

Ein weiterer Problemfaktor ist oft die Umwälzpumpe. Millionen von Heizanlagen arbeiten mit Pumpen, die für die Anlage zu groß sind oder auf eine übergroße Förderhöhe eingestellt wurden. Die Folgen sind überhöhter Energieverbrauch, Strömungsgeräusche sowie eine Verminderung der Regelungsmöglichkeiten über das Thermostatventil. Ziel muss hier auf jeden Fall sein, die Einstellungen zu verbessern – und auch dabei kommt dem hydraulischen Abgleich eine Schlüsselrolle zu. Denn sind die Volumenströme bestmöglich abgeglichen, lässt dies oft eine Reduktion der Pumpenförderhöhe zu. Die finale Einstellung der Umwälzpumpe sollte deshalb auch immer erst nach der Durchführung des hydraulischen Abgleichs vorgenommen werden, und zwar anhand berechneter Einstellparameter.

Die Wechselwirkung von Abgleich und Wärmeerzeuger

Der hydraulische Abgleich gehört in einen umfassenden Systemhorizont eingeordnet, auf den er Einfluss nimmt und von dem er selbst in seiner Durchführung bestimmt wird. Letzter Wechselwirkungsbaustein innerhalb dieses Horizonts ist dann der Wärmeerzeuger selbst – sei es nun eine klassische Öl- bzw. Gasheizung oder eine zukunftsweisende Lösung auf Basis erneuerbarer Energien wie eine Wärmepumpe. Wie dieser Erzeuger dimensioniert werden, welche Leistung er erbringen soll, hängt zwar wesentlich vom Wärmebedarf des Gesamtgebäudes ab. Es hängt aber eben immer auch davon ab, wie viel mithilfe des hydraulischen Abgleichs erreicht werden kann. Je besser die Heizwärme verteilt wird, desto weniger wird davon insgesamt gebraucht.

Die Durchführung des hydraulischen Abgleichs ist deshalb ein Schlüssel dazu, energetisch ineffiziente Überdimensionierungen zu vermeiden, die aus Furcht vor unzureichender Wärmebedarfsdeckung in Kauf genommen werden. Auch in dieser Hinsicht ist er letztlich ein entscheidender Funktionsbaustein des Systems Heizung als Ganzem. Wie aber soll der Heiztechniker nun vorgehen, um den hydraulischen Abgleich im Sinne des übergeordneten Systemgedankens durchzuführen? Davon handelt der nächste Teil unserer Serie in der SBZ-Ausgabe 13-22 (die erscheint am 30. September).

Info

SBZ-Serie: Hydraulischer Abgleich heute

Der hydraulische Abgleich bekommt im Zuge der Wärmewende eine immer größere Bedeutung. Sei es als Maßnahme zur Energieeinsparung, als Fördervoraussetzung oder zur Optimierung des Heizsystems nicht nur für die Wärmepumpe. Grund genug also, die aktuellen Entwicklungen, wichtige Rahmenbedingungen und die Vorgehensweise in einer umfassenden SBZ-Serie zusammenzutragen:

Teil 1: Herausforderung hydraulischer Abgleich: SBZ 9-22

Teil 2: Das System Heizung verstehen: SBZ 11-22

Teil 3: Leitfaden zur Vorgehensweise: SBZ 13-22

Teil 4: Softwarebasierte Berechnung

Autor
Bernd Scheithauer ist Produktingenieur für Wärmeautomatik bei Danfoss,
63073 Offenbach, www.danfoss.de

Danfoss

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