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Rechenverfahren im Vergleich

Verschiedene Proportionen

Mit der EnEV 2009 wurde für Wohngebäude nicht nur die DIN V 18599 für die energetische Bilanzierung sondern auch ein neues Nachweisverfahren eingeführt. Anstelle eines von der Gebäudegeometrie abhängigen Grenzwertes wird nun – wie bereits seit 2007 für Nichtwohngebäude – in der EnEV eine Referenzausführung beschrieben. Diese Ausführung bildete für die Modellrechnungen in diesem Beitrag die Ausgangslage.

Bei den folgenden Betrachtungen geht es nicht darum, die Anwendbarkeit beider Rechenverfahren zu bewerten, sondern um deren vergleichende Anwendung im Rahmen der EnEV. Denn beide Verfahren sind gleichberechtigt, wenn es darum geht die Einhaltung der ener­giesparrechtlichen Anforderungen nachzuweisen.

Beispielgebäude ist ein freistehendes Einfamilienhaus

Als Beispielgebäude soll ein freistehendes Einfamilienhaus dienen. Die wesentlichen geometrischen Kennwerte sind in Bild 1 dargestellt. Die für das Beispielgebäude relevanten Komponenten sind in Bild 2 zusammengefasst. Den Berechnungen wurden die Randbedingungen der EnEV zugrunde gelegt.

In Bild 3 sind für das Beispielgebäude zunächst die Absolutwerte der Berechnungs­ergebnisse gegen­übergestellt. Auffällig ist hier, dass nach dem Berechnungsverfahren der DIN V 4108-6/DIN V 4701-10 (im Folgenden: 4108/4701) die Nutzenergiemengen, insbesondere für die Trinkwarmwasserbereitung, etwas höher, die End- und Primärenergiemengen aber deutlich niedriger bewertet werden als nach dem Rechenansatz der DIN V 18599 (im Folgenden: 18599).

Die Abweichung des Nutzwärmebedarfs für die Trinkwarmwasserbereitung liegt im veränderten Flächenbezug begründet. 4108/4701 legt die Gebäudenutzfläche zugrunde, die 18599 nimmt dagegen die Wohnfläche in Bezug (s. Infokasten). Das Verhältnis von Wohnfläche zur Gebäudenutzfläche beträgt für das Beispielgebäude: 130,9 m2/172,8 m2 = 76 %. Darüber hinaus beträgt der spezifische Nutz­energiebedarf für die Trinkwasserbereitung in Einfamilienhäusern nach 4108/4701 12,5 kWh/(m2a) und nach 18599 12,0 kWh/(m2a). Dies ist eine zusätzliche Reduzierung um 4 %.

Die beiden Werte für den Heizwärme- bzw. Nutzwärmebedarf des Beispielgebäudes unterscheiden sich zwar kaum. Es lässt sich dennoch eine wesentliche Veränderung bei der Zusammensetzung der Wärmegewinne bzw. Wärmequellen feststellen. In Bild 4 sind zunächst die Lüftungs- und Transmissionswärmeverluste dargestellt. Die etwas niedrigeren Transmissionswärmeverluste nach DIN V 4108-6 liegen u.a. darin begründet, dass hier die solaren Gewinne über opake Bauteile unmittelbar angerechnet werden. Die DIN V 18599 berücksichtigt diese hingegen zusammen mit den solaren Wärmequellen über transparente Bauteile.

Die Aufteilung der Wärmegewinne bzw. -quellen in Bild 5 zeigt eine abweichende Bewertung der nutzungsbedingten internen Wärmequellen. Nach DIN V 4108-6 Anhang D werden für Wohngebäude – bezogen auf die Gebäudenutzfläche – 5 W/m2 bzw. 120 Wh/(m2d) vorgesehen. Die Nutzungsrandbedingungen nach DIN V 18599-10 Tabelle 3 hingegen sehen – bezogen auf die Wohnfläche – nur 2,1 W/m2 bzw. 50 Wh/(m2d) vor. Für das Beispielgebäude werden die nutzungsbedingten internen Wärmegewinne daher mit 20,7 kWh/d (4108/4701) bzw. 6,5 kWh/d (18599) angenommen. Die große Differenz wird bei der Berechnung des Nutzwärmebedarfs dadurch ausgeglichen, dass die ungeregelten Wärmeeinträge nach DIN V 18599 wesentlich stärker bewertet werden als im bisherigen Verfahren. Weil die solaren Gewinne gleich bewertet werden, unterscheiden sich die beiden Werte für den Nutzwärmebedarf kaum.

Große Abweichung bei den ­Endenergiemengen

Vor dem Vergleich der Endenergiemengen beider Rechenmodelle muss noch ein Abgleich des Energiegehalts durchgeführt werden. Die 4108/4701 bezieht die Endenergie auf den Heizwert, wohingegen die 18599 den Brennwert des jeweiligen Energieträgers in Bezug nimmt. Der Umrechnungsfaktor fHS/HI für Heizöl nach DIN V 18599-1 Tabelle B.1 beträgt 1,06, dass heißt, der auf den Brennwert bezogene Endenergiebedarf des Energieträgers Heizöl ist um 6 % höher als der auf den Heizwert bezogene. Beim Energieträger Erdgas ist die Abweichung noch größer, da hier der Faktor 1,11 beträgt. Ein Abgleich des Primär­energiebedarfs ist dagegen nicht erforderlich, da dieser immer mit Bezug auf den Heizwert angegeben wird.

Worin begründet sich die große Abweichung bei den Endenergiemengen zwischen den beiden Berechnungsverfahren? Die technischen Verluste der Prozessbereiche Übergabe, Verteilung, Speicherung und Erzeugung werden wesentlich höher bewertet. Beispielhaft soll das an den Verlusten der Wärme­übergabe gezeigt werden. In (Bild 6) sind für das Übergabesystem des Referenzgebäudes die spezifischen Verluste aufgetragen. Während in 4108/4701 der Absolutwert der Verluste von der Gebäudenutzfläche abhängt, wird er in der 18599 in Abhängigkeit des Nutzwärmebedarfs berechnet. Für das Beispielgebäude ergeben sich somit folgende Verluste der Wärmeübergabe:

  • 4108/4701: Q<sub>H,ce</sub> = 1,1 kWh/(m<sup>2</sup>a) &middot; 172,8 m<sup>2</sup> = 190,1 kWh/a (nach DIN V 4701-10, Tab. 5.3-1)
  • 18599: Q<sub>h,ce</sub> = 0,10 &middot; 9492 kWh/a = 949,2 kWh/a (nach DIN V 18599-5, Abs. 6.1)

Unterschiedliche Werte trotz der gleichen Anlagentechnik

Die Aufteilung der anlagentechnischen Verluste für die Bereitstellung der Heizwärme in (Bild 7) verdeutlicht die unterschiedliche Bewertung der Anlagentechnik in beiden Bilanzierungsmodellen und erklärt, weshalb diese großen Abweichungen beim Endenergiebedarf zustande kommen. Die primärenergetische Bewertung erfolgt für beide Verfahren auf Grundlage des heizwertbezogenen Endenergiebedarfs, weshalb hier keine zusätzlichen Abweichungen entstehen.

Das Beispielgebäude wurde mit der Referenzausführung bilanziert, sodass nach Anlage 1 Nr. 1.1 EnEV der berechnete Primär­energiebedarf auch dem Höchstwert eines zu errichtenden Wohngebäudes entspricht. Für das Verfahren nach 4108/4701 ergibt sich somit ein spezifischer Jahres-Primärenergiebedarf von 82,8 kWh/(m2a). Für das Verfahren nach 18599 hingegen ein Wert von 118,4 kWh/(m2a). Beide Werte beziehen sich auf die Gebäudenutzfläche AN.

Dem Kunden mag es schwer zu vermitteln sein, weshalb sich für das gleiche Gebäude mit der gleichen Anlagentechnik so unterschiedliche Werte ergeben und dabei beides den Neubaustandard wiedergibt. Für die Nachweisführung nach EnEV ist dies grundsätzlich jedoch nicht relevant, da beide Verfahren für sich alleine stehen und auch nicht gemischt – z.B. Referenzgebäude nach 18599 und tatsächliches Gebäude nach 4108/4701 – angewendet werden dürfen.

Einzelmaßnahmen wirken sich unterschiedlich stark aus

Es stellt sich jedoch die Frage, ob Veränderungen an der Referenzausführung in den beiden Rechenverfahren energetisch gleichwertig beurteilt werden oder ob es zu Verschiebungen kommen kann. Für das Beispielgebäude wurden folgende vier Einzelmaßnahmen betrachtet:

  • V1: Referenzausführung: Luftdichtheitsmessung; zentrale Abluftanlage, bedarfsgeführt mit geregeltem DC-Ventilator, Variante: keine Luftdichtheitsmessung; nur Fensterlüftung
  • V2: Referenzausführung: Zirkulationsleitung im Trinkwarmwasser-Rohrnetz, Variante: keine Zirkulationsleitung im Trinkwarmwasser-Rohrnetz
  • V3: Referenzausführung: Thermostatventile mit Proportionalbereich 1 K, Variante: Thermostatventile mit Proportionalbereich 2 K
  • V4: Referenzausführung: Heizung mit Wärmeerzeugung durch Brennwertkessel (verbessert), Heizöl EL. Warmwasserbereitung: gemeinsame Wärmebereitung mit Heizung, solarthermische Unterstützung, Variante: Heizung mit Wärmeerzeugung mit Sole/Wasser-Wärmepumpe. Warmwasserbereitung: gemeinsame Wärmebereitung mit Heizung

In Bild 8 sind die Abweichungen des Primärenergiebedarfs zum jeweiligen Referenzgebäude prozentual dargestellt. Es ist augenscheinlich, dass sich die Einzelmaßnahmen je nach verwendeten Berechnungsverfahren unterschiedlich stark auswirken. Am deutlichsten ist die Ausprägung bei V2 und V4.

In einem nächsten Schritt wurde bei der Berechnungsvariante 4108/4701 der bauliche Wärmeschutz bei den Maßnahmen V1 und V3 so weit verbessert, dass der Primär­energiebedarf wieder dem Ausgangswert der Referenzausführung entsprach. Bei den Maßnahmen V2 und V4 wurde der Wärmeschutz entsprechend verschlechtert. Der Höchstwert für den spezifischen Transmissionswärmeverlust nach EnEV, Anlage 1 Tabelle 2, wurde dabei außer Acht gelassen. Bild 9 zeigt die Abweichung des Primärenergiebedarfs nach 18599 von der Referenzausführung, nachdem auch hier die gleichen Anpassungen des baulichen Wärmeschutzes vorgenommen wurden.

Die Ergebnisse bestätigen, was bereits Bild 8 vermuten ließ: Weicht die Ausstattung von der Referenz der Gebäude- und Anlagentechnik ab, ergeben sich für beide Rechenverfahren unterschiedliche Anforderungen, wenn man die Auswirkung der Varianten auf die Ergebnisse kompensieren will.

Bilanzierung nach beiden ­Rechenverfahren erforderlich

Die Berechnungen erfolgten an einem Beispielgebäude. Daher kann kein Anspruch auf eine allgemeine Schlussfolgerung erhoben werden. Darüber hinaus können abweichende Gebäudegeometrien Effekte verstärken oder vermindern.

Dennoch verdeutlicht diese Vergleichsrechnung die Probleme, die durch das Vorhandensein zweier unterschiedlicher Berechnungsverfahren für öffentlich-rechtliche Nachweise entstehen. Denn um für den Bauherrn die wirtschaftlichste Lösung zur Einhaltung der EnEV zu erarbeiten, wird – zumindest solange entsprechende Erfahrungswerte fehlen – in der Regel eine Bilanzierung nach beiden Rechenverfahren erforderlich.

Die Erkenntnisse lassen sich auch auf die energetische Bewertung bestehender Gebäude und die damit verbundene Ausstellung eines Energieausweises anwenden. Da bei Wohngebäuden der Referenzwert für den Primärenergiebedarf nicht als Zahl angegeben wird, ist eine Beurteilung der Ergebnisse im Energieausweis selbst für einen Fachmann nur eingeschränkt möglich.

Hinweis: Die Berechnungen wurden für beide Rechenverfahren mit jeweils zwei unterschiedlichen Softwareprodukten durchgeführt. Darüber hinaus sind Teilergebnisse mit Handrechnungen nachvollzogen worden. Bei der Bilanzierung nach DIN V 18599 entschied sich der Autor bei Abweichungen für das plausiblere Ergebnis. Sollten sich im Verlauf von Produktverbesserungen die Berechnungen im Detail noch verändern, wird es an der grundsätzlichen Problemstellung nichts ändern.

Info

Abweichender Flächenbezug

Die Energiebezugsfläche ist bei Anwendung der DIN V 4108-6 und DIN V 4701-10 die Gebäudenutzfläche AN. Sie ist in der EnEV mit 0,32 · Ve definiert. Abweichend davon wird in der DIN V 18599 als Energiebezugsfläche grundsätzlich die Nettogrundfläche ANGF nach DIN 277 verwendet. Für die Ermittlung des Nutzwärmebedarfs für Trinkwarmwasser sowie für die internen Wärmequellen in Wohngebäuden ist der Flächenbezug in der DIN V 18599 jedoch die Wohnfläche. Diese darf vereinfacht mit AWO = ANGF/1,1 angenommen werden, siehe hierzu DIN V 18599-10 Tabelle 3.

Nach der EnEV ist der Höchstwert für den Jahres-Primärenergiebedarf eines zu errichtenden Wohngebäudes sowie die spezifischen Energie­bedarfsmengen im Energieausweis auf die Gebäudenutzfläche AN zu ­beziehen.

Autor

Dipl.-Ing. (FH) Lutz Dorsch ist Geschäftsführer der Dorsch und Hoffmann GmbH Institut für Energieeffizienz mit Sitz in Erkrath. Das Unternehmen beschäftigt sich u.a. mit der Erstellung von Energiekonzepten für Neubauten und Bestandssanierungen sowie mit dem Wissenstransfer zu energiesparrechtlichen Vorschriften und Bilanzierungs­verfahren; Telefon (02 11) 27 01 93-0, https://www.i-f-ee.de/