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“Ältere Menschen mehr einbeziehen”

Die kreativsten Köpfe der Sanitärindustrie konkurrieren ab September zum dritten Mal um den ZVSHK Design-Award. Mitglied der internationalen Fachjury ist erneut die ehemalige Bundesfamilienministerin Prof. Dr. Ursula Lehr. Gegenwärtig ist sie stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Wir haben die international hochgeschätzte Altersforscherin gefragt, was ihr bei dieser Tätigkeit wichtig ist.

SBZ: Frau Prof. Lehr, warum machen Sie sich stark für den Design-Award?

Prof. Ursula Lehr: Mein Ziel heißt: Leben in einer Welt für alle Lebensalter. Zu allen Lebensaltern zählen auch die Senioren – darunter die sogenannten Hochaltrigen mit mehr als 80 Jahren. Wir wissen, dass die Gruppe der Seniorinnen und Senioren immer größer wird. Ein Beispiel: Vor gut 125 Jahren kamen in Deutschland auf einen Menschen im Alter von wenigstens 75 Jahren noch 79 Menschen, die unter 75 Jahre alt waren. Heute sind nicht einmal mehr zehn Menschen jünger – und in gut zwanzig Jahren nur noch knapp fünf. Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung wächst also deutlich.

SBZ: Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Sanitärbranche?

Prof. Lehr: Wir müssen alles tun, damit die Selbstständigkeit älterer Menschen möglichst lange erhalten bleibt, auch wenn vielleicht gewisse Einschränkungen gegeben sind. Veränderungen im Alltagsumfeld, besonders die Ausgestaltung des Badezimmers, können dazu viel beitragen. Das ist auch mein Anliegen beim Design-Award: Ich möchte auf Produktdetails achten, die Senioren und Seniorinnen helfen, trotz eventueller Einschränkungen bestmöglich agieren zu können. Schlechte Gestaltungsbeispiele gibt es in dieser Hinsicht leider auch.

SBZ: Nämlich?

Prof. Lehr: Was nützt beispielsweise ein Dusch-WC – eine in unserem Land noch relativ seltene Sanitärvariante, die ich aber vor 25 Jahren schon in Singapur kennengelernt habe – wenn die Bedienungsknöpfe, mit denen man Wassertemperatur, Strahlstärke und Fönstärke einschalten kann, so klein und unübersichtlich angebracht sind, dass sie mit etwas eingeschränkter Bewegungsfreiheit kaum zu bedienen sind? Bei allen Produkten ist also ein kritischer Blick gefragt. Das ist etwas, was auch unsere Juryarbeit auszeichnet.

SBZ: Was lag der Jury darüber hinaus am Herzen?

Prof. Lehr: Grundsätzlich ist zu sagen: Unsere Jury hat in den beiden vorausgegangenen Jahren sehr gut zusammengearbeitet. Wir haben die nominierten Produkte unter verschiedenen Aspekten kritisch begutachtet und dabei alle Lebensalter im Blick gehabt. Alle heißt: auch die Kinder – eine familiengerechte Blickrichtung also. Wir hatten zum Beispiel Waschtische für Kinder dabei. Letztendlich haben wir uns als Jury immer gut geeinigt.

SBZ: Die ausgezeichneten Produkte sind in einer Ausstellung zu sehen. Gibt es Produktkategorien, die besonders viele Besucher anziehen?

Prof. Lehr: Dass im Rahmen einer Ausstellung eine prämierte begehbare Badewanne oder ein Dusch-WC mehr Beachtung erhält als etwa leicht, einfach und sicher zu handhabende Armaturen an Waschtisch und Badewanne, das ist natürlich verständlich. Man darf aber nicht vergessen, dass ein Wechsel der Armaturen für mehr Menschen leichter umsetzbar ist und gleichzeitig weit weniger Kosten verursacht als ein Wechsel der Badewanne.

SBZ: Was wünschen Sie sich für den Design-Award mit Blick auf die kommende Fachmesse ISH 2017?

Prof. Lehr: Ich wünsche mir, dass die älteren Menschen – auch diejenigen mit leichten Einschränkungen – in Zukunft etwas stärker in die Entwicklung der Produkte einbezogen werden. Warum sollte man beispielsweise nicht Befragungen durchführen, etwa folgendermaßen: Was stört Sie in Ihrem Badezimmer am meisten?

SBZ: Wissen Sie die Antwort?

Prof. Lehr: Da wird man wahrscheinlich häufig hören: Mich stören die niedrigen WC-Sitze ohne Haltegriff rechts oder links, um mich gegebenenfalls hochzuziehen. Das gilt übrigens auch in öffentlichen WCs – und wäre darüber hinaus für schwangere Frauen sehr hilfreich.

Die Anbringung und Gestaltung der Spiegel im Bad wird von älteren Menschen ebenfalls öfter bemängelt. Das gilt auch für den Platz für die Ablage von Wasch- und Schminkutensilien neben dem Waschbecken. Der reicht nämlich oft nicht. Ich glaube, zur Lösung dieses Problems war unter den bislang eingereichten Produkten sogar mal eine Idee dabei.

SBZ: Gibt es einen Wunsch, den Sie Produktdesignern gerne mit auf den Weg geben?

Prof. Lehr: Generell gilt: Seniorengerecht ist menschengerecht – und so wünsche ich mir ein Design for all. Wobei dieses ‚Design for all‘ nicht gleich nach Altenheimeinrichtung oder Behinderten-WC aussehen sollte.

SBZ: Frau Prof. Lehr, vielen Dank für das Gespräch.