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Krankschreibungsverfahren ändert sich

Der „gelbe Schein“ wird digital

Er ist eine Art Institution in der Arbeitswelt – und er befindet sich auf Abschiedstournee. Die Rede ist vom sogenannten „gelben Schein“, also der Krankschreibung, die man bislang von seinem Arzt als dreifachen Durchschlag überreicht bekam: einmal für den Arbeitgeber, einmal für die Krankenkasse und einmal für die eigenen ­Unterlagen. Bis Mitte des Jahres soll das Verfahren komplett digitalisiert werden. Grundlage für die Neuregelung ist ein Gesetzes­paket zum Bürokratieabbau, das Bundestag und Bundesrat Ende 2019 verabschiedet haben.

Seit Jahresbeginn läuft bereits der erste Teil des Krankschreibungsverfahrens vollständig digital ab: Seither sind die Arztpraxen verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – so lautet der bürokratisch korrekte Name der Krankschreibung – automatisch in digitaler Form an die jeweilige Krankenkasse des erkrankten Arbeitnehmers zu übermitteln. Damit hat eine seit dem 1. Oktober vergangenen Jahres andauernde Übergangsphase geendet, in der beide Verfahren parallel liefen, während die Arztpraxen Stück für Stück mit den entsprechenden digitalen Schnittstellen ausgerüstet wurden. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet das konkret, dass sie die Krankschreibung mittlerweile nicht mehr selbst an die Krankenkasse schicken müssen.

Was noch nicht weggefallen ist, ist die Verpflichtung, dass Arbeitnehmer die Krankschreibung in Papierform bei ihrem Chef vorlegen müssen – in den meisten Fällen spätestens am vierten Krankheitstag. Das soll sich jedoch zum 1. Juli ändern: Ab diesem Stichtag sollen die Arbeitgeber die Krankschreibungen auf digitalem Weg bei den Krankenkassen abrufen können. Der Arbeitnehmer muss sich dann nur noch telefonisch krankmelden – der Papierkram entfällt. Für die Betriebe bedeutet die Umstellung allerdings zunächst einen Mehraufwand: „Unternehmen müssen hier vor allem organisatorisch tätig werden und für eine entsprechende IT-Infrastruktur unter Berücksichtigung der geltenden DSGVO-Auflagen sorgen“, sagt Karsten Kahlau, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Wittig Ünalp in Bremen. In einem Pilotverfahren läuft die digitale Übermittlung bereits seit dem 1. Januar: Unternehmen, die technisch dazu in der Lage sind, können die AU-Daten bereits elektronisch bei der Krankenkasse abrufen.

Pilotprojekt: Das elektronische Verfahren funktioniert

Dass das digitale Verfahren grundsätzlich funktioniert, hat ein im Jahr 2017 begonnenes Pilotprojekt der Techniker Krankenkasse (TK) unter Beweis gestellt, an dem sich bundesweit rund 600 Arztpraxen beteiligt hatten: Hier hatten TK-Versicherte die Möglichkeit, ihre Krankschreibung vom Arzt mittels dessen Praxissoftware direkt auf digitalem Weg an die Krankenkasse zu übermitteln. Eine sechsstellige Zahl an Krankschreibungen ging während des Pilotprojekts auf diesem Weg bei der TK ein. „Die Zahlen zeigen, dass die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Ärzten und Versicherten angenommen wird“, so Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der TK. In das Pilotprojekt waren auch zwei Arbeitgeber eingebunden – die Techniker Krankenkasse selbst sowie das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Mit Zustimmung der betroffenen Versicherten wurden ihnen die Krankmeldungen direkt elektronisch übermittelt, auf das Einreichen des gelben Scheins beim Vorgesetzten konnte verzichtet werden.

Das Pilotprojekt habe die TK darin bestärkt, die digitale Krankschreibung weiter voranzutreiben und zu etablieren. „Die Vorteile liegen dabei klar auf der Hand: Die Ärzte schicken die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit einem Klick an die Krankenkasse. Die Patienten können sich so auf ihre Gesundheit konzentrieren und müssen sich nicht damit beschäftigen, die Bescheinigungen einzuscannen oder in die Post zu geben“, so Ballast. Auch das Risiko, das Einreichen zu vergessen, entfalle damit.

Viele Unternehmen wissen jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht, wie die Umsetzung des neuen Verfahrens in der Praxis erfolgen soll. Das hat eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) ergeben. Demnach stehen 75 Prozent der Unternehmen hierzulande in Sachen elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch ganz am Anfang der Umsetzung. Knapp die Hälfte der Betriebe kann zum jetzigen Zeitpunkt noch gar keine Einschätzung geben, ab wann die technische Umstellung erfolgt. Ein Großteil der Befragten – 63 Prozent – plant der Befragung zufolge, das eigene Payroll-System an den Kommunikationsserver der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anzubinden. Insgesamt gebe es noch zu wenig Information zu den beteiligten Systemen, Organisationen und Schnittstellen, beklagt Kai Helfritz von der DGFP. Auch fehle es an detaillierten Prozessabläufen und Best-Practice-Beispielen.

Fehlende Softwareupdates bremsen das Verfahren aus

Erschwerend kommt hinzu, dass die Unternehmen ab Sommer zwei Verfahren parallel vorhalten müssen. „Wichtig ist, dass der bisherige Ablauf zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dennoch bestehen bleibt, denn die elektronische Übermittlung gilt bisher nicht für Privatversicherte“, sagt Rechtsanwalt Kahlau. Privatversicherte müssen somit weiterhin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Papier bei der Versicherung einschicken und bei ihrem Arbeitgeber einreichen – und der Arbeitgeber muss natürlich auch dazu in der Lage sein, das Formular entsprechend zu verarbeiten.

Noch hakt es aber auch in technischer Hinsicht an der einen oder anderen Stelle. So weist der AOK-Bundesverband darauf hin, dass es bei den Arztpraxen aktuell zu technischen Störungen bei der elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Krankenkassen kommen kann. Grund dafür ist laut Angaben des GKV-Spitzenverbandes ein fehlendes Update bei der Praxissoftware – offenbar ein Versäumnis im Zuge der coronabedingten Überlastung vieler Praxen. Zudem hätten zahlreiche Ärztinnen und Ärzte auch noch keinen elektronischen Heilberufeausweis beantragt – und dieser ist Voraussetzung für die digitale Signatur der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Falls das elektronische Verfahren noch nicht funktioniert, würden die Versicherten wie bisher die Papierausdrucke bekommen und müssten sie dann sowohl an die Krankenkasse als auch den Arbeitgeber weiterleiten, heißt es bei dem Verband. Angesichts der aktuellen Schwierigkeiten ist somit unklar, ob es wirklich dabei bleibt, dass die Krankschreibungen schon ab dem 1. Juli flächendeckend auf elektronischem Weg zu den Arbeitgebern gelangen – oder ob doch noch eine Übergangsphase vereinbart wird, in der das neue und das alte Verfahren für eine Weile parallel genutzt werden.

Grundlegendes Vorgehen bei der Krankmeldung bleibt gleich

Unabhängig von solchen Unwägbarkeiten ändert sich durch die Neuerungen nichts an der grundlegenden Handhabung von Krankmeldungen durch den Arbeitnehmer: Wer aufgrund einer Erkrankung nicht zur Arbeit kommen kann, muss seinem Vorgesetzten umgehend Bescheid geben – spätestens zu Beginn seiner Arbeitszeit am ersten Krankheitstag. Die Krankmeldung kann dabei telefonisch, per E-Mail oder auch per SMS oder WhatsApp erfolgen – Hauptsache, es ist sichergestellt, dass die Krankmeldung den Arbeitgeber auch erreicht.

Die vom Arzt angefertigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – egal ob wie bisher der klassische „gelbe Schein“ oder zukünftig in elektronischer Form – ist grundsätzlich immer dann erforderlich, wenn die Erkrankung länger als drei Tage andauert. Der Arbeitgeber kann aber im Einzelfall auch schon am ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung verlangen, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Aktenzeichen 5 AZR 866/11). Will der Arbeitgeber generell für alle Mitarbeiter anordnen, dass der Krankenschein bereits früher eingereicht werden muss, braucht er dafür allerdings die Zustimmung des Betriebsrats. Aufgrund der Coro­na­pandemie gilt derzeit übrigens die Sonderregelung, dass sich Arbeitnehmer bei Erkältungsbeschwerden auch telefonisch ohne Praxisbesuch krankschreiben lassen können. Die Regelung wurde jüngst bis Ende März verlängert. In jedem Fall muss eine Krankmeldung des Arbeitnehmers lückenlos erfolgen. Der betroffene Mitarbeiter muss sich also rechtzeitig um eine Folgebescheinigung kümmern, wenn absehbar ist, dass er mit Ablauf der Krankschreibung noch nicht wieder arbeitsfähig ist.

Info

Arbeiten trotz Krankschreibung?

Im Arbeitsrecht erfüllt die Krankschreibung zwei Funktionen: Zum einen stellt sie fest, dass ein Arbeitnehmer zum aktuellen Zeitpunkt nicht arbeitsfähig ist. Und zum anderen beinhaltet sie eine Prognose, wie lange dieser Zustand voraussichtlich anhalten wird. Und Prognosen können zutreffen oder eben auch nicht. Eine Krankschreibung ist jedenfalls kein Arbeitsverbot: „Fühlt man sich vor Ablauf eines ärztlichen Attestes gesund, spricht nichts gegen eine vorzeitige Rückkehr an den Arbeitsplatz“, sagt Fenimore von Bredow vom Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte. Prinzipiell ist man sogar dazu verpflichtet, wieder bei der Arbeit zu erscheinen, wenn man wieder vollständig genesen ist. Und auch wenn der Arzt der Ansicht ist, dass Arbeiten die Gesundheit immer noch beeinträchtigt, kann der Arbeitnehmer frei entscheiden, ob er zur Arbeit geht oder nicht. Dies gilt aber natürlich nicht im Fall einer Coronaerkrankung. Hier muss man sich unbedingt an die vom Gesundheitsamt vorgeschriebene Quarantäne halten.

Wenn Arbeitnehmer trotz Erkrankung arbeiten wollen, ist der Arbeitgeber allerdings nicht verpflichtet, die angebotene Arbeitsleistung auch anzunehmen. Denn Arbeitgeber haben gegenüber ihren Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht. Diese bezieht sich sowohl auf den kranken Mitarbeiter selbst als auch auf seine Kollegen. Daher haben Arbeitgeber grundsätzlich das Recht, selbst zu entscheiden, ob ein krankgeschriebener Mitarbeiter wirklich einsatzfähig ist oder ob es sicherer ist, ihn wieder nach Hause zu schicken. Zumal es auch eine erhebliche Haftung gegenüber Dritten nach sich ziehen kann, wenn der erkrankte Mitarbeiter einen schwerwiegenden Fehler macht. Und wenn etwa aufgrund eines positiven Schnelltests der Verdacht auf eine Coronaerkrankung besteht, müssen Arbeitnehmer sich bis zum Vorliegen des PCR-Testergebnisses ohnehin umgehend in Isolation begeben und dürfen sich nicht am Arbeitsplatz aufhalten. (czy)

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