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Pietätlos oder alternativlos?

Jäger: Geschätzter Kollege, ich bin ratlos. Ist es richtig, beim Wiederaufbau der durch die Flutkatastrophe im Ahrtal zerstörten Häuser vorzuschlagen, dort eine „Modellregion für erneuerbare Energien“ aufzubauen? Oder ist so ein Vorschlag einfach pietätlos angesichts der Tatsache, dass zu Beginn der kalten Jahreszeit der unmittelbare Bedarf an funktionierenden Heizungen und Brennstoffen in Form von Gas und Öl noch längst nicht flächendeckend gesichert ist? Der Bericht über die Aktivitäten des Heizungsbauers Roos zeichnet kein rosiges Bild über die Zustände vor Ort (ab Seite 10 in dieser SBZ).

Geßler: Auf diese Frage kann ich keine eindeutige Antwort geben. Natürlich hat die sichere Versorgung der Anwohner in ihren ramponierten Häusern absolute Priorität. Da darf es kein Hin und Her geben, jeder Handgriff muss sitzen – und zwar jetzt, nicht erst im kommenden Jahr. Andererseits ist die Gelegenheit da, beim Wiederaufbau der Gebäude erneuerbare Energien so umfangreich wie möglich und wirtschaftlich vertretbar einzubinden. Darauf zielt der Vorschlag aus den Reihen einiger Wissenschaftler und Lokalpolitiker ab.

Jäger: Ich möchte an dieser Stelle jetzt nicht allzu gesellschaftspolitisch werden, aber bei genauerer Betrachtung habe ich für die Idee dann doch nur Hohn und Spott übrig. Wie kann man so verblendet sein und von den Menschen, denen der Klimawandel quasi das Haus unterm Allerwertesten weggerissen hat, verlangen, sich beim Wiederaufbau mit der Reduzierung ihres CO2-Ausstoßes und regenerativem Strom zu beschäftigen?!

Geßler: Andererseits kann das für die Betroffenen auch gerade eine Motivation sein, hier ein Zeichen zu setzen. Aber erstmal muss es warm werden. Die Frage ist, wie es dann weitergehen kann. Konkrete Ideen beinhaltet bereits das Konzeptpapier „Aus Ahrtal wird SolAHRtal“, das Urban Weber, Physikprofessor an der Technischen Hochschule in Bingen, mit anderen Forschern erarbeitet hat. Ziel ist es, dass sich der Kreis Ahrweiler im Jahr 2027 zu 100 % aus erneuerbaren Energien versorgen kann.

Jäger: Ach ja, das Konzept kenne ich. Da sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität zwei Strategien parallel verfolgt werden: Zum einen ist beabsichtigt, beim konkreten Wiederaufbau Synergien zu nutzen und z. B. bei der Reparatur von Dächern auch direkt Photovoltaikanlagen zu installieren. Außerdem soll bei der Planung an sich ein „ökologisches Zielbild“ mitgedacht werden, um beispielsweise keine neuen Erdgasleitungen mehr zu verlegen. Als Betroffener wäre mir das alles ziemlich schnuppe, wenn nur die Heizung morgen wieder läuft.

Geßler: Weitere Vorschläge stehen im Raum. Die Gemeinde Dernau denkt z. B. über ein Nahwärmenetz nach, um den Ort künftig erneuerbar zu beheizen. Die bisherigen Übergangslösungen, wie etwa mobile Heizzentralen, sollten nur diesen Winter im Einsatz sein. Ob aber schon im kommenden Jahr ein Umstieg auf regenerative Alternativen gelingt, daran habe ich doch meine Zweifel. Zumal die Betroffenen jetzt nicht wählerisch sein können und dann ggf. auch sofort eine neue Gasheizung installieren lassen.

Bild: SBZ

Tim Geßler
SBZ-Redakteur

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