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Die Revolution im Bad

Dass Luigi (Lutz) Colani schon immer sein Auftreten benutzt hat, um Meinungen und Menschen zu polarisieren, war mehr als ein geschickter Marketingtrick: Seine Begeisterung war so ansteckend, weil sie echt war. Colani prägte wie kein anderer beim Mann auf der Straße das Bild von Design, aber auch das Denken in den Köpfen der deutschen Installateure. Und auch die Industrie würdigt rückblickend die Arbeit Luigi Colanis: Fast einhellig bescheinigen führende Unternehmen der Sanitärindustrie Colani für ihre Branche eine außerordentliche Pionierleistung in Sachen Design, und die Villeroy & Boch AG veröffentliche kurz nach der Bekanntmachung durch die Presseagentur dpa ihre Beileidsbekundung zum Tod der Ausnahmepersönlichkeit.

Luigi Colani teilte das Schicksal von Pionieren in einer entwickelten Welt: Der Wagemut, die Experimentierfreude und die Dynamik, die man an ihnen so geschätzt hatte, als es Land zu erobern galt, erscheint den nachfolgenden Siedlern auf einmal zu riskant. Und so sah sich Colani in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens einer Widerstandshaltung der Industrie gegenübergestellt, die er als Zögerlichkeit der unter Erfolgsdruck stehenden Macher anprangerte. Wahr ist, dass eine sichere Kugel mit Colani wohl nie zu schieben war, und Mut zum Risiko ist heute nun mal selten zu finden.

Colani forderte Freiräume und verbreitete Unruhe, was ihn zu einem unbequemen, weil nicht oder nur schwer kalkulierbaren Faktor in den alles beherrschenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen machte. Schwerwiegender noch wird aber wohl das Bedenken der Vorstandsebenen etablierter Markenunternehmen gewesen sein, sich mit der Entscheidung für ein Colani-Abenteuer dem Ruf auszusetzen, sich auf skurrile Abwege zu begeben. Abgesehen von seiner gelegentlich erfrischend undiplomatischen Art und der von Vertretern des sogenannten „guten (Norm-)Geschmacks“ bedauerten Tatsache, dass sich seine Handschrift dem Zeitenwandel partout nicht anpassen konnte oder wollte, konnte man sich noch über so manche Eigenart Colanis – um nicht zu sagen: Extravaganz – beklagen. Sein Absolutismus und sein umwerfendes Selbstbewusstsein waren zumindest gewöhnungsbedürftig.

Doch ihn als Spinner abzutun hieße, eine gewisse genialische Freigeistigkeit und Respektlosigkeit gegenüber den gewohnten Spielregeln des Marktes mit Weltfremdheit zu verwechseln. Letztlich wird niemand umhinkönnen, dem Altmeister Unbestechlichkeit im Urteil und intuitive Klarsicht im Hinblick auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu bescheinigen – wie das nachfolgende, lesenswerte SBZ-Interview aus dem Jahre 2000 beweist (auf den nächsten Seiten). In weiten Teilen scheint es aktueller denn je.

„Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“ – die Wahrheit dieses Sprichwortes hat Colani zweifelsohne sein ganzes Leben verfolgt. Er musste damit leben lernen – und er lebte nicht schlecht. Wenn die abenteuerlichen Gerüchte um sein Werk auch nur teilweise wahr sind, hatte der Designer ein ausgesprochen kreatives und erfülltes Arbeitsleben. Für die Sanitärbranche war Colani der Geburtshelfer in ein neues Zeitalter. Auf der ISH 1975 stellten Villeroy & Boch, Keuco und Grohe zusammen mit Colani die erste Badezimmerkollektion vor – das Lifestyle-Badezimmer war erfunden. Dieses Konzept machte das Badezimmer letztlich zu dem Raum, der er heute ist.

Was bleibt, ist die Frage, ob es nicht ein Fehler war, das Potenzial und die Popularität eines Colani zu unterschätzen und eine vielleicht einmalige Chance ungenutzt gelassen zu haben. Zumal die Suche nach Persönlichkeiten keine unendlichen Möglichkeiten bereithält und es vielen zunehmend austauschbaren Produkten genau an dem mangelt, was Colani im Übermaß auszeichnete: Originalität.

Auf den nächsten Seiten haben wir als Hommage ein Original-Interview mit Luigi Colani aus einer SBZ-Ausgabe aus dem Jahr 2000 abgedruckt. Es liest sich äußerst unterhaltsam, viele Aussagen treffen in weiten Teilen heute noch zu.

TIPP

Colani im TV

Der deutsche Designer Luigi (Lutz) Colani (* 2. August 1928 in Berlin, † 16. September 2019 in Karlsruhe) war bekannt für seine aerodynamischen, biomorphen Formen für Autos (z. B. Ford Ka), Flugzeuge und viele Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Lebens (Canon, Sony). Er hat das Verständnis der SHK-Branche für Produkt- und Baddesign maßgeblich geprägt. Mehr zu der schillernden Persönlichkeit unter:

https://www.tagesschau.de/suche#/all/1/?searchText=luigi+colani

Info

Luigi Colani revolutionierte das Baddesign

„Mitte der 70er-Jahre, als das internationale Design sich schon von dem Funktionalismus der Moderne abwandte, kam auch im Bad der Auslöser für eine formale Weiterentwicklung. Fast könnte man in Luigi Colani den Prinzen sehen, der das Bad aus oben besagtem Dornröschenschlaf wachküsste. Alle Marktteilnehmer sind sich einig, dass sein für Villeroy & Boch entworfenes Badprogramm revolutionär war, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: Es zeigte eine neue, ergonomisch begründete Formsprache; es beinhaltete ein mit neuen Tönen arbeitendes Farbkonzept, das die Durchgängigkeit der Formsprache bei allen Produkten unterstützte; und damit schließlich kann sie als Begründerin des Kollektionsprinzips im Baddesign gelten. Denn erst mit der Einführung der Serie Colani auf der ISH 1975 entwickelte sich die Linienkeramik mit Designabstimmung zwischen den einzelnen Keramikteilen. Ihr folgte als zweite komplette Serie Tonca von Ideal Standard. Das Kollektionsdesign wurde Standard.

Luigi Colani war der erste unabhängige Designer, der für das Bad entwarf. Zudem war er in den Medien präsent und durch seine aerodynamischen und biomorphen Arbeiten etwa für Rosenthal und VW ausgesprochen populär. (…) Der Erfolg der V&B-Serie ist aber wohl auch darin begründet, dass Luigi Colani die richtige Mischung aus Emotionalität und Funktionalität fand – die Kollektion sprach das Bedürfnis nach Luxus genauso an wie das nach Rationalität und vereinte daher Traditionalisten und Anhänger der modernen Sachlichkeit.

Nachdem Colani die Tradition der rechtwinklig-nüchternen Ästhetik gebrochen hatte, schien alles möglich. Und der Markt, der von dem Bauboom in den 70er-Jahren profitierte, bot den Spielraum für die gestalterische Emanzipation des Bades. Luitwin Gisbert von Boch-Galhau: „Mit der Renovierungswelle in den Siebzigern kam der Umschwung in der Badbranche. Das Bad gewann an Bedeutung. Es wurde größer geplant, und der Konsument war erstmalig bereit, in diesen Raum zu investieren. Dies gab der Vermarktung höherwertiger Produkte Auftrieb. Umgekehrt stieg die Qualität des Angebots.“

Auszug aus der Chronik ISH 50, Messe Frankfurt Exhibitions GmbH / Autoren: Claudia Wanninger, Frank A. Reinhardt

Autor

Frank A. Reinhardt (Dipl. Des.) ist Inhaber einer Agentur für Content-Entwicklung und -Kommunikation in Köln. Er war in der SHK-Branche als Produktmanager tätig, publizierte in Fachmagazinen und veröffentlichte Studien zur Konsumforschung. Er ist Trendexperte, Referent und Juror.

https://farconsulting.de/