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Schöne neue Wasserstoff­welt?

  • Wasserstoff wird oft als Heilsbringer der Energiewende glorifiziert. Ob und in welchem Umfang er für die Gebäudetechnik tatsächlich zur Verfügung stehen wird, ist noch völlig offen.
  • Testphasen und Pilotprojekte der Heizungsindustrie und der Energieversorger zeigen, dass Wasserstoff durchaus unter bestimmten Voraussetzungen für die Beheizung nutzbar ist.
  • Klar ist in jedem Fall: Nur Wasserstoff, bei dessen Herstellung regenerativ erzeugter Strom genutzt wurde, ist wirklich klimaneutral. Alle anderen Erzeugungsarten dienen dem Übergang.
  • In einer idealen Welt wäre die Aufgabe schon gelöst, Immobilien klimaneutral mit Wärmeenergie zu versorgen. Es hätte das Gezerre rund ums Gebäudeenergiegesetz GEG nicht gegeben. Der CO2-Ausstoß könnte deutlich reduzierter ablaufen im Vergleich zu heute. In einer idealen Welt würde der überwiegende Teil des Gebäudebestands mit Wasserstoff als Energiequelle beheizt. Genauer gesagt: mit grünem Wasserstoff. Wasserstoff also, bei dessen Erzeugung allein regenerativ erzeugter Strom verwendet wird. Die CO2-Emissionen sinken dann praktisch auf null. Um diese enorme Menge Wasserstoff grün produzieren zu können, müsste der Anteil von erneuerbarem Strom sprunghaft wachsen. Nimmt man das Ziel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, den Anteil des regenerativ erzeugten Stroms in Deutschland bis 2030 auf 65 % zu erhöhen, wird schnell deutlich: Stand heute ist das Szenario reine Utopie. Selbst mittelfristig wird grüner Wasserstoff kaum in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, schon gar nicht für die Gebäudetechnik. Aber wie sieht es in Zukunft aus?

    Klar ist: Die Wärmepumpe ist als aktuelle Leittechnik in der Heizung (und Kühlung!) gesetzt. Aber um das Ausmaß kommender Entwicklungen rund um den Wasserstoff besser fassen zu können, lohnt sich ein Blick auf ganz Europa. Wasserstoff gilt als ein Bestandteil zur Erreichung europäischer Klimaziele. Viele Länder haben einen nationalen Wasserstoffplan aufgesetzt, darunter auch Deutschland. Mehr als 60 Leuchtturm­projekte sollen bundesweit den Weg weisen hin zum Wasserstoffland Nummer 1. Das betrifft die Erzeugung, die Lagerung, den Transport und letztlich auch die Verwendungsgebiete. Die Einsatzmöglichkeiten übersteigen die vorhandenen Kapazitäten um ein Vielfaches. Daran ändern auch Importe wie mit Wasserstoff beladene Tankschiffe aus Asien nix. Gebäudetechnik, Verkehr und Industrie – der Bedarf ist riesig, und das sind nur die Hauptfelder.

    Die Anlagen laufen alle reibungslos.

    Franz Killinger, Remeha, zu Wasserstoff­pilotprojekten

    Bild: Remeha

    So weit die Theorie. In der Praxis ist Wasserstoff tatsächlich schon in der Heizungstechnik angekommen. Es ist ein eher schleichender Prozess, aber es geht voran. An erster Stelle zu nennen wäre da die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz. Ein Anteil von bis zu 10 % ist erlaubt und technisch mit der Leistungsfähigkeit der meisten Gasheizungssysteme vereinbar. Zu allem, was darüber hinausgeht, wird geforscht und geprobt.

    Seit Oktober testen TÜV Rheinland, der Energieversorger GVG Rhein-Erft und die Rheinische Netzgesellschaft (RNG) als regionaler Netzbetreiber in Erftstadt bei Köln, wie sich die Beimischung von 20 Volumenprozent Wasserstoff im Gasnetz auswirkt. Zum Ende der Heizperiode haben die Partner Zwischenbilanz gezogen: Sämtliche angeschlossenen Gasverbrauchseinrichtungen laufen ohne jede Störung. Bislang ist hierzulande nur eine Beimischung von zehn Volumenprozent Wasserstoff zugelassen.

    Die Bürger sowie das angeschlossene Gewerbe konnten über die gesamte Heizperiode hinweg ihre Geräte wie gewohnt nutzen, so der TÜV Rheinland. Diese mussten für das veränderte Gasgemisch nicht umgestellt werden. Auch hatte die veränderte Zusammensetzung des Gasgemisches keine Auswirkungen auf die Dichtigkeit des Gasnetzes.

    „Wasserstoff hat einen festen Platz in einem emissionsfreien Wärmesektor der Zukunft.“Dr. Timm Kehler, Vorstand Zukunft Gas

    Bild: Zukunft gas

    „Wasserstoff hat einen festen Platz in einem emissionsfreien Wärmesektor der Zukunft.“
    Dr. Timm Kehler, Vorstand Zukunft Gas

    Der Feldtest soll noch bis Ende Dezember andauern. Insgesamt nehmen 100 Haushalte teil, sie hängen an einem rund neun Kilometer langen Netz, das allerdings erst 2007 errichtet wurde. Es ist damit technisch auf einem sehr modernen Stand. Über die neuen Hausanschluss- und Verteilleitungen lässt es sich gut überwachen. Sowohl Netztopologie als auch Gerätetechnik der Testhaushalte eignen sich besonders gut für eine repräsentative Ergebnisauswertung, die sich auf andere Gebiete übertragen lässt, heißt es vonseiten der Projektpartner.

    Nach Angaben vom TÜV Rheinland handelt es sich bei diesem Feldversuch deutschlandweit um den ersten Test dieser Art, der in einem L-Gasnetz durchgeführt wird. Weite Teile Westdeutschlands werden noch mit sogenanntem L-Gas versorgt, das sich in seiner Beschaffenheit und Herkunft von sogenanntem H-Gas unterscheidet. Um die technischen Möglichkeiten weiter auszuloten, plant TÜV Rheinland jetzt, in geeigneten Gasnetzen eine Beimischung von bis zu 30 Volumenprozent Wasserstoff zu testen.

    Das bedeutet für die Heizungsindustrie, ihre Systeme entsprechend vorzubereiten und anzupassen. Neudeutsch formuliert: Geräte sind H2-ready (oder sollten es sein). Und irgendwann – so die Wunschvorstellung vieler Projekttreiber quer durch die Republik – können Heizungsanlagen zu 100 % Wasserstoff als Energiequelle nutzen. So wie der Hersteller Remeha forschen die meisten Anbieter an diesem Szenario intensiv.

    Im September 2022 hat die „BDR Thermea Gruppe“ (zu der Remeha gehört) den ersten 100-%-Wasserstoffkessel für die Erprobung in größeren gewerblichen Anwendungen in einem Pilotprojekt in Betrieb genommen. Es ist nicht das einzige geblieben: „Remeha und die BDR Thermea Gruppe haben europaweit bereits mehr als einhundert 100-%-Wasserstoffanlagen in Pilotprojekten in Betrieb – in real genutzten Wohn- und Gewerbeimmobilien. Die Anlagen laufen alle reibungs- und problemlos“, sagt Franz Killinger (Vertriebsleiter Remeha).
    Dabei sollen verschiedene Anwendungsfälle demonstriert werden, wie z. B. der Einsatz an Standorten mit lokaler Wasserstoff­erzeugung mit Speicherlösungen und/oder in einer Hybridkonfiguration mit einer Wärmepumpe, bei der der Wasserstoffkessel nur die Spitzenlasten bei der Wärmeerzeugung abdeckt.

    Nach Meinung von Dr. Timm Kehler (Vorstand Zukunft Gas, dem Branchenverband der deutschen Gas- und Wasserstoffwirtschaft) ist das genau der richtige Weg. Auch mit Blick auf die aktuelle GEG-Novelle. „Wir begrüßen die Berücksichtigung von neuen Gasen wie Biomethan, grünem und blauen Wasserstoff einschließlich seiner Derivate, wofür wir uns schon seit Jahren einsetzen: Wasserstoff hat einen festen Platz in einem emissionsfreien Wärmesektor der Zukunft.“ Allerdings werde sich erst mit der Ausgestaltung des Gesetzes entscheiden, ob es wirklich Platz für Technologien wie beispielsweise wasserstofffähige Gasheizungen geben werde.

    Remeha-Vertriebsleiter Franz Killinger und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Gespräch vor dem 100-%-Wasserstoff-Brennwertkessel von Remeha.

    Bild: Remeha

    Remeha-Vertriebsleiter Franz Killinger und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Gespräch vor dem 100-%-Wasserstoff-Brennwertkessel von Remeha.

    Wasserstoff und seine „Farbe“

    Im Kern ist immer von drei Wasserstoffarten die Rede. Unterschieden wird in der Art, wie sie erzeugt werden. Grauer Wasserstoff aus Erdgas macht derzeit den Großteil der weltweiten Produktion aus. Dabei wird Erdgas in H2 und CO2 aufgespalten. Und trotz seiner Herkunft ergibt sich im Vergleich zum direkten Einsatz fossiler Energien ein CO2-Vorteil. Blau wird der graue Wasserstoff, wenn der CO2-Anteil aufgefangen und gespeichert wird. Von grünem Wasserstoff spricht man, wenn er mit erneuerbarem Strom erzeugt wird. Die CO2-Emissionen gehen dann runter auf null. Diese Form der Wasserstoff­erzeugung ist das große Ziel.

    Was ab 2024 beim Heizungstausch zu beachten ist

    Ein Kurzüberblick zu den allgemeinen Aussagen der GEG-Novelle:

  • In Neubaugebieten muss ab dem 1. Januar 2024 jede neu eingebaute Heizung mindestens 65 % erneuerbare Energie (im Sinne des Gesetzes) nutzen.
  • Für Bestandsgebäude und Neubauten, die in Baulücken errichtet werden, gilt diese Vorgabe abhängig von der Gemeindegröße nach dem 30. Juni 2026 bzw. 30. Juni 2028. Diese Fristen sind angelehnt an die im Wärmeplanungsgesetz vorgesehenen Fristen für die Erstellung von Wärmeplänen. Ab den genannten Zeitpunkten müssen neu eingebaute Heizungen in Bestandsgebäuden und ­Neubauten außerhalb von Neubaugebieten die Vorgaben des Gesetzes erfüllen. Um es den Eigentümern zu ermöglichen, die für sie passendste Lösung zu finden, kann für eine Übergangsfrist von bis zu fünf Jahren noch eine Heizung eingebaut werden, die die 65-%-EE-Vorgabe nicht erfüllt.
  • Bestehende Heizungen sind von den Regelungen nicht betroffen und können weiter genutzt werden. Auch wenn eine Reparatur ansteht, muss kein Heizungsaustausch erfolgen.
  • Der Umstieg auf erneuerbare Energien erfolgt technologieoffen. Bei einem Heizungseinbau oder einem Heizungsaustausch können Hauseigentümer frei unter verschiedenen Lösungen wählen: Anschluss an ein Wärmenetz, elektrische Wärmepumpe, Stromdirektheizung, Biomasseheizung, Hybridheizung (Kombination aus Erneuerbaren-Heizung und Gas- oder Ölheizung), Heizung auf der Basis von Solarthermie und „H2-ready“-Gasheizungen – Heizungen, die kostengünstig auf 100 % Wasserstoff umrüstbar sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es einen rechtsverbindlichen Investitions- und Transformationsplan für eine entsprechende Wasserstoffinfrastruktur vor Ort gibt.
  • Daneben ist jede andere Heizung auf der Grundlage von erneuerbaren Energien bzw. eine Kombination unterschiedlicher Technologien zulässig. Dann ist ein rechnerischer Nachweis für die Erfüllung des 65-%-Kriteriums zu erbringen.
  • Um auch bei Öl- und Gasheizungen, die ab dem 1. ­Januar 2024 eingebaut werden, den Weg Richtung klimafreundliches Heizen einzuschlagen, müssen diese ab dem Jahr 2029 stufenweise ansteigende Anteile von grünen Gasen oder Ölen verwenden: 15 % ab dem 1. Januar 2029, 30 % ab dem 1. Januar 2035 und 60 % ab dem 1. Januar 2040. Ab 2045 ist dann die Verwendung fossiler Brennstoffe nicht mehr zulässig.
  • Das Gebäudeenergiegesetz enthält weitere Übergangsregelungen, z. B. wenn der Anschluss an ein Wärmenetz in Aussicht steht, und eine allgemeine Härtefallregelung, die auf Antrag Ausnahmen von der Pflicht ermöglicht. Im Einzelfall wird dabei etwa berücksichtigt, ob die notwendigen Investitionen in einem angemessenen Verhältnis zum Ertrag oder in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Gebäudes stehen. Auch Fördermöglichkeiten und Preisentwicklungen fließen hier ein. Aber auch aufgrund von besonderen persönlichen Umständen, wie etwa einer Pflege­bedürftigkeit, kann eine Befreiung von der Pflicht zum Heizen mit Erneuerbaren gewährt werden.
  • Autor

    Dennis Jäger
    ist Chefredakteur der SBZ

    Bild: SBZ

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