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Druck drauf, Glückauf?

Nach den Statistiken des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) treten jedes Jahr bundesweit in Gebäuden mehr als eine Million Wasserschäden auf, die auf undichte Trinkwasserleitungen zurückzuführen sind. Für die Regulierung der Schäden geben allein die Versicherer rund zwei Milliarden Euro pro Jahr aus. Etwa ein Drittel davon entfällt laut einer Studie von Rockwell Consulting auf Neubauten. Offenbar werden also häufiger Gebäude mit undichten Wasserleitungen in Betrieb genommen, obwohl diese vor der Inbetriebnahme auf Dichtheit geprüft wurden. Wie kann es dazu kommen? Die Versicherungsunternehmen sind überzeugt, die Dichtheitsprüfung mit kompressiblen Medien sei unzureichend, und verweigern in diesen Fällen zunehmend die Schadensregulierung. Die Gerichte tendieren inzwischen dazu, der Argumentation der Versicherer zu folgen. Die Konsequenz: Letztlich haften die Installateure und Sanitärbetriebe und müssen für die Kosten zur Beseitigung der Wasserschäden aufkommen.

Wasser versus Druckluft

Gleichzeitig steht die Einschätzung der Versicherer und Gerichte im Widerspruch zu Leitfäden, Merkblättern und Handlungsempfehlungen, die von Fachverbänden wie dem ZVSHK herausgegeben und von weiten Teilen der Branche befürwortet werden. Ausdrücklich empfehlen ausgewiesene Experten die Dichtheitsprüfung mit kompressiblen Medien, da diese Methoden viele Vorteile hinsichtlich der Trinkwasserhygiene haben. Was ist der Grund für diese Diskrepanzen? Noch bis ins Jahr 2011 bestanden über die Praxis der Dichtheitsprüfung keine Zweifel. Eine Wasserleitung wurde stets mit Wasser befüllt, ein Prüfdruck wurde angelegt und über einen bestimmten Zeitraum aufrechterhalten. So war es in der DIN 1988-2 geregelt. Dann wurden die Normen in der EU harmonisiert. Die aktuell gültige DIN EN 806 lässt nun auch Druckluft (sowie inerte Gase) als Prüfmedium zu, „sofern nationale Bestimmungen dies zulassen“.

Inzwischen haben sich ölfreie Druckluft und inerte Gase als alternative Prüfmethode etabliert, weil damit Bedenken hinsichtlich der Trinkwasserhygiene ausgeräumt werden. Denn wenn das Leitungssystem mit Wasser geprüft und anschließend nicht direkt in Betrieb genommen oder zumindest regelmäßig gespült wird, besteht das Risiko, dass sich Keime in den Leitungen ansiedeln. Die Trinkwasserqualität wäre damit gefährdet. Der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) empfiehlt deshalb in seinen Merkblättern, nur noch in Ausnahmefällen mit Wasser abzudrücken.

Präzision und Sorgfalt nötig

Die Prüfung mit kompressiblen Medien muss allerdings gut vorbereitet und sorgfältig anhand der Handlungsanweisungen durchgeführt werden. Sonst birgt auch dieses Verfahren Nachteile und Risiken: Die Prüfung selbst wird mit deutlich geringerem Druck durchgeführt als die mit Wasser. Um selbst kleinste Leckagen zuverlässig zu erkennen, sind deshalb sehr empfindliche und präzise Manometer nötig. Zudem müssen die zu prüfenden Leitungsabschnitte kleiner gewählt werden und die Prüfungen über einen längeren Zeitraum erfolgen. Um mögliche Leckagen sichtbar zu machen, müssen alle Verbindungsteile eingeseift und während der Prüfung beobachtet werden. Zugleich müssen die Installateure auch äußere Bedingungen wie die Umgebungstemperatur berücksichtigen. Wenn Wände, Decken und Leitungen während der Prüfung nur um wenige Grad abkühlen oder erwärmen, verändert das auch den Luftdruck in den Rohren.

Im Allgemeinen ist somit mehr Präzision und Sorgfalt nötig, wenn mit Luft abgedrückt werden soll. Folglich können auch mehr Fehler passieren. Mangelnde Erfahrung kann also ebenso zu falschen Prüfergebnissen führen wie ungeeignete Messgeräte. Zeit- und Kostendruck auf der Baustelle führen bisweilen dazu, dass ganze Leitungssysteme in einem Stück geprüft werden. Die Dichtheit der Leitungen kann so jedoch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.

Mit Blick auf den Arbeitsschutz muss auch das Gefahrenpotenzial berücksichtigt werden, das von kompressiblen Medien ausgeht – insbesondere dann, wenn die Druckprüfung während der Bauphase durchgeführt werden soll und zahlreiche Arbeiter und Monteure im Gebäude ein- und ausgehen. Wenn ganze Leitungsabschnitte noch offen liegen, können schadhafte, flexible Schlauchleitungen, wenn sie mit Druckluft befüllt werden, mit erheblicher Krafteinwirkung unkontrolliert durch den Raum peitschen. Sachschäden und schwere Verletzungen können die Folge sein. Dieses Risiko besteht bei Wasser nicht, da es inkompressibel ist und der Druck im Falle eines Lecks schlagartig abfällt, ohne dass das Volumen zunimmt.

Aktuelle Standards überprüfen

Unter diesen Umständen scheint es nachvollziehbar, dass Versicherungen die Schadensregulierung verweigern, wenn die Dichtheit nicht mit Wasser nachgewiesen wurde. Unterdessen ist die Prüfung mit Luft jedoch zum Standard avanciert – auch mit dem Argument, dass sie jederzeit schon während der Bauphase durchgeführt werden kann. Außer Acht gelassen wird in der Diskussion der Umstand, dass im Anschluss an die Dichtheitsprüfung auch keine hygienische Versiegelung der Rohrenden stattfindet. Schmutzeintrag durch offene Rohrenden ist im laufenden Baubetrieb kaum zu vermeiden. Die Spülung des Systems ist allein deshalb nötig.

Im Schadensfall berufen sich Installateure wie Versicherer nun auf die DIN EN 806. Sie fordert zwar die Wasserprüfung, lässt aber auch die Verwendung von Luft zu, „[…] sofern nationale Bestimmungen dies zulassen“. Dabei lässt sie jedoch offen, was eine „nationale Bestimmung“ ist. Darüber, ob Handlungsanweisungen, Leitfäden, Merk- oder Arbeitsblätter der Fachverbände diesen Anspruch erfüllen, gehen die Meinungen auseinander. Eine nationale Bestimmung im juristischen Sinne (z. B. eine Durchführungsverordnung) sind sie jedoch nicht. Denn der Hinweis, es handle sich um durch die Praxis bewährte, anerkannte Regeln der Technik, überzeugt weder die Versicherer noch die unabhängigen Richter.

Rechtssicherheit schaffen

Installateure, Sanitärbetriebe und Bauunternehmen sehen sich deshalb mit einer unklaren Rechtslage konfrontiert. Endgültig Abhilfe schaffen könnte eine eindeutige „nationale Bestimmung“. Dazu wäre es jedoch nötig, allgemein anerkannte Normen und technische Regeln zu verfassen, denen eine gesetzliche Durchführungsverordnung zugrunde liegt. Um Installateuren vor Ort Gewissheit über die zu wählende Methode und den Unternehmen dahinter Rechtssicherheit zu geben, sind auch die Innungen und Dachverbände der Branche gefordert, sich auf einheitliche Regeln zu verständigen.

Das muss nicht zwangsläufig zur Bevorzugung der einen gegenüber der anderen Methode führen. Auch müssten die hygienischen Bedenken bei der Verwendung von Wasser als Prüfmittel noch wissenschaftlich validiert werden. Denn belastbare Untersuchungen und Daten, die die bestehenden Vorbehalte begründen, gibt es bislang nicht. Vielmehr scheint hier die Sorge um die besondere Reinheit des deutschen Trinkwassers ursächlich. Der Vergleich mit anderen Ländern lässt hingegen den Schluss zu, dass das Verkeimungsrisiko zumindest nicht ganz so groß ist wie vielfach angenommen. Abschließend klären ließe sich diese Frage nur mit vergleichenden, baubegleitenden Studien und Experimenten zum Beispiel durch unabhängige Forschungseinrichtungen oder Institute.

Wasserprüfung ist nicht out

Zudem spricht nichts dagegen, das Leitungssystem erst kurz vor Inbetriebnahme des Gebäudes mit Wasser zu befüllen und zu prüfen. Wenn besondere Umstände dazu führen, dass zwischen Dichtheitsprüfung und Inbetriebnahme ein längerer Zeitraum liegt, ist es möglich, das System regelmäßig zu spülen. Auch damit wird das Verkeimungsrisiko reduziert. Um ganz sicherzugehen, bietet es sich zudem an, die Leitungen abschließend mit Chlor zu reinigen. So ist es bei hygienisch besonders sensiblen Bereichen ohnehin üblich – etwa in Kliniken oder Pflegeheimen.

Gleichzeitig könnten klarere Anweisungen und Vorgaben bei der Prüfung mit Luft die Verlässlichkeit der Methode verbessern und das Unfallrisiko begrenzen. Unternehmer, die gewährleisten, dass die vorhandenen technischen Regeln und Merkblätter konsequent angewendet werden, etwa durch Schulungen der Fachkräfte, können dazu beitragen, dass die Prüfergebnisse belastbarer werden. Eine gleichbleibend hohe Qualität wäre eine wichtige Voraussetzung für die dauerhafte Akzeptanz der Dichtheitsprüfung mit Druckluft. Aktuell sollten sich Sanitärunternehmen gut mit dem Thema Dichtheitsprüfung auseinandersetzen und in jedem Einzelfall gründlich abwägen, welche Methode sie verwenden. Bis Klarheit und Rechtssicherheit in dem Fall besteht, empfiehlt TÜV Süd, im Zweifel erst kurz vor Inbetriebnahme gemäß DIN EN 806 mit Wasser bei 11 bar abzudrücken.

Info

Wissenswertes in Kürze

Leitfäden, Merkblätter und Handlungsempfehlungen, die von Fachverbänden herausgegeben und von weiten Teilen der Branche befürwortet werden, empfehlen aus hygienischen Gründen bei Trinkwasserinstallationen eine Dichtheitsprüfung mit Druckluft oder inerten Gasen.

Die Versicherungsunternehmen sind allerdings zunehmend der Auffassung, dass diese Methode nicht hinreichend verlässlich ist, um Leckagen in jedem Anwendungsfall zuverlässig zu entdecken.

Eine gesetzliche Verordnung, die bezüglich der Dichtheitsprüfung mit Druckluft oder inerten Gasen auf harmonisierte Normen Bezug nimmt oder auf technische Regeln verweist, gibt es in Deutschland nicht. Dabei hätte nur eine solche Regelung den Rang einer „nationalen Bestimmung“, die Grundlage für die Dichtheitsprüfung von Trinkwasserinstallationen mit Druckluft oder inerten Gasen gemäß DIN EN 806 ist.

Autor

Dipl.-Ing. (FH) Hermann Wagner ist Leiter Zentralbereich Gebäudetechnik, Geschäftsfeld Bautechnik bei TÜV Süd Industrie Service, 80686 München, Telefon (0 89) 57 91 36 61, E-Mail: h.wagner@tuev-sued.de, www.tuev-sued.de/is