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Auf den Punkt gebracht

SBZ: Herr Bürschgens, nach §16 Trinkwasserverordnung (TrinkwV) muss der Betreiber einer Trinkwasserinstallation sowohl eine Ortsbegehung mit Prüfung auf Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik veranlassen als auch eine Gefährdungsanalyse. Was ist hier der Unterschied, gehört das nicht zusammen?

Bürschgens: Natürlich kann man eine Gefährdungsanalyse nicht ohne die Ortsbegehung erstellen. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass bei der Ortsbegehung die Anlage inspiziert wird, um festzustellen, ob die technischen Regelwerke an allen Stellen eingehalten werden. Hier wird geprüft, ob die Vorgaben zu Temperaturen nach VDI/DVGW 6023 und DVGW (A) W 551 eingehalten werden, ob ein hydraulischer Abgleich nach W 551 und W 553 eingerichtet ist und funktioniert, ob bei allen Anbindungen an das Trinkwasser die Anforderungen zum Schutz des Trinkwassers nach DIN EN 1717 und DIN 1988-100 erfüllt werden, Verlegeabstände zwischen Trinkwasser kalt und Leitungen für erwärmte Medien, Korrosion, Dämmschichten, Betriebsweise, Stagnationsleitungen und noch vieles mehr. Bei der Ortsbegehung handelt es sich also um eine rein technische Prüfung. Bei der Gefährdungsanalyse geht es im nächsten Schritt darum, diese technischen Mängel zu interpretieren, d. h. abzuschätzen, wie sich diese technischen Mängel auf ein mikrobiologisches Wachstum auswirken können und welche Risiken für die menschliche Gesundheit hieraus entstehen können.

SBZ: Wieso genau dürfen nur besonders qualifizierte Personen Gefährdungsanalysen erstellen?

Bürschgens: Das Umweltbundesamt hat klar definiert, wer als geeignet angesehen wird, Gefährdungsanalysen zu erstellen. Eine Gefährdungsanalyse soll letztlich darin unterstützen, notwendige Abhilfemaßnahmen bei einer Kontamination mit gesundheitsgefährdenden Mikroorganismen zu identifizieren und ihre zeitliche Priorisierung unter Berücksichtigung der Gefährdung der Gesundheit von Personen festzulegen. Dazu muss man natürlich die einschlägigen Regelwerke tatsächlich auch kennen und man muss ein Verständnis für die mikrobiologischen Zusammenhänge haben. Der alte Spruch „Ich muss nicht alles wissen, ich muss nur wissen wo‘s steht“ hat in dem Fall keinerlei Berechtigung. Wenn ich ein Gutachten wie eine Gefährdungsanalyse erstellen möchte, muss ich die technischen Regelwerke kennen, muss sie interpretieren und in Zusammenhang bringen können. Checklisten mit den häufigsten technischen Fehlern können hier keine Hilfestellung sein. In den letzten Jahren hat sich unser Berufsbild sehr stark gewandelt. Der Anlagenmechaniker Versorgungstechnik oder der Installateur- und Heizungsbauer beschäftigt sich bekanntlich mit Abwasser, Erdgas, Flüssiggas, Trinkwasser, Ölheizung und -Lagerung, alternativen Energien wie Solar oder Wärmepumpen, Regen- oder Grauwassernutzung, Warmwasserbereitung, Lüftungs- und Klimatechnik, Heizungstechnik und vielem mehr. Um jedoch im Trinkwasser verschiedene technische Mängel und deren Wechselwirkungen zueinander erkennen, bewerten und daraus ein mikrobiologisches Risiko ableiten zu können, bedarf es eines sehr spezialisierten Fachwissens. Darauf muss man sich konzentrieren.

SBZ: Mitarbeiter des Gesundheitsamts Köln haben im letzten Jahr einen sehr ernüchternden Bericht veröffentlicht, was die Qualität der Probenahmen und der Gefährdungsanalysen betrifft, die dort vorgelegt werden. Was sind die häufigsten Mängel bei Probenahmen und Gefährdungsanalysen?

Bürschgens: Leider sind die Fehler, die hier gemacht werden, vielfältig. Bei den Probenahmen werden oft auftraggeberfreundliche Beprobungen durchgeführt, d. h. es werden nicht genug Probenahmestellen ausgewählt, das Ergebnis der Untersuchung wird durch vorherige Spülmaßnahmen künstlich geschönt oder es wird bei Nachbeprobungen oder weitergehenden Untersuchungen bewusst nur an den Stellen beprobt, die bereits bei orientierenden Untersuchungen auffällig waren, was ja dem Sinn einer weitergehenden Untersuchung widerspricht. Die Gefährdungsanalysen dagegen sind oftmals nicht objektiv, weil der Beauftragte selbst vorher an der Anlage war und seine eigene Arbeit nicht selbst kritisieren mag. Oder der Beauftragte verspricht sich von der Gefährdungsanalyse einen weiteren Auftrag zur Sanierung der Anlage. Die Berichte sind auch oft nicht in einer adäquaten Gutachtenform verfasst, sondern eher Auflistungen von vermeintlichen Mängeln ohne jede Bewertung, Erläuterung oder mikrobiologische Interpretation. Bei manchen Berichten werden die Mängel nicht im Bild dokumentiert, bei anderen gibt es keine Pläne, Laborbefunde usw. Der gravierendste Mangel bei vielen Gefährdungsanalysen offenbart sich jedoch in einer erschreckenden Unkenntnis der technischen Regelwerke. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Vor einigen Wochen erhielt ich ein Gerichtsgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Heizung/Sanitär aus Hamburg zur Bewertung in einem Rechtsstreit, in dem die Klägerin, eine Mieterin, gesundheitliche Probleme auf die Nutzung des Trinkwassers zurückführt. In diesem Gutachten erklärt der Kollege, dass eine Auslauftemperatur im erwärmten Trinkwasser an der Entnahmestelle von 45 °C nach 40 Sekunden Auslaufzeit den Regeln der Technik entsprechen würde, weil ein Komfortkriterium nach VDI 6003 erfüllt sei. Das ist natürlich völliger Unsinn.

SBZ: In unserem Beitrag zu den Gefährdungsanalysen ist die Rede davon, dass vielfach bereits vor der Gefährdungsanalyse Maßnahmen getroffen werden. Was ist denn daran falsch?

Bürschgens: Es ist der unkoordinierte Aktionismus, der vielfach zu Schäden in den Anlagen führt oder zu Gefährdungen der Nutzer. Wenn ich keinen übergreifenden, detaillierten Einblick in die gesamte Installationssituation habe und damit auch die Ursache für die Verkeimung nicht kenne, kann ich doch keine zielgerichteten Maßnahmen ergreifen. Viele Betreiber haben durch die Medien davon gehört, dass Legionellen bei 60 °C absterben und sind der Ansicht, wenn sie Legionellen in der Anlage haben, reicht es aus, einmal aufzuheizen. Dabei werden durch die ausführenden Unternehmen, die mitunter nicht einmal Fachhandwerker sind, schon bei geringen oder mittleren Kontaminationen Anlagen kaputt gekocht. In einem Fall in der Region um Stuttgart wurde durch ein Service-Unternehmen, das lediglich Probenahmen anbietet, die Soll-Temperatur des Trinkwassererwärmers in einer Installation aus verzinkten Eisenwerkstoffen auf> 85 °C eingestellt. Bereits nach anderthalb Stunden waren laut Spülprotokoll an den Entnahmestellen starke Verfärbungen, Sediment und größere Rostpartikel feststellbar. Trotzdem beließ die Firma die derart hoch eingestellte Temperatur für weitere neun Tage bis zur Nachbeprobung bestehen. Sowas ist ein teurer Totalschaden und hat leider wenig mit den Maßnahmen nach DVGW (A) W 557 zu tun. Weder wurde die Anlage vorher gereinigt, noch war eine Ursache für die Kontamination von lediglich 200 KBE/100 ml bekannt. Wenn eine orientierende Untersuchung ein positives Ergebnis über dem technischen Maßnahmenwert zeigt, ist sofort und möglichst gleichzeitig die weitergehende Untersuchung zu veranlassen und ein neutraler Sachverständiger hinzuzuziehen, der in Abhängigkeit der Höhe der Kontamination geeignete Sofortmaßnahmen zum Schutz der Nutzer vorschlagen kann für die Zeit, bis dann auf Grundlage der Ergebnisse der Gefährdungsanalyse eine zielgerichtete Sanierung abgeschlossen ist. Alles andere ist in meinen Augen purer Aktionismus.

SBZ: Welche Folgen können unsachgemäße Gefährdungsanalysen haben?

Bürschgens: Der Betreiber der Installation ist für die Qualität des abgegebenen Trinkwassers verantwortlich. Hat er einen positiven Legionellen-Befund, besteht das Bedürfnis, dieses Problem schnell, kostengünstig und nachhaltig zu beseitigen. Die Grundlage hierfür ist die Gefährdungsanalyse. Wenn dieses Gutachten nicht objektiv und fachkundig erstellt wird, werden unter Umständen die Ursachen für die Kontamination nicht nachhaltig beseitigt. Es können unnötige und teils teure Maßnahmen veranlasst werden, mit gravierenden wirtschaftlichen Schäden. Oder es können Schäden an der Installation wie gerade beschrieben auftreten und im schlimmsten Fall werden teilweise die Nutzer gefährdet durch den ungeeigneten Einsatz von Chemikalien. In einem anderen Beispiel aus Süddeutschland wird bereits seit 2012 eine chemische Desinfektionsanlage mit erheblichen Betriebskosten für die Eigentümergemeinschaft betrieben, ohne dass jemand die Konzentration von Verbrauchswerten oder Reaktionsstoffen im Trinkwasser kontrolliert oder eine Gefährdungsanalyse veranlasst. Hier wird die chemische Desinfektion als permanentes Allheilmittel missbraucht, entgegen den technischen Regelwerken und entgegen der Trinkwasserverordnung. Oder es werden am Hauswassereingang Sterilfilter installiert, um den weiteren Eintrag von Mikroorganismen zu unterbinden und vorhandene Bakterien auszuhungern. Dabei werden dann grundlegende technische Regeln missachtet und unter Umständen sind solche Aktionen Straftatbestände! Ultrafiltrationsanlagen am Hauswassereingang sind beispielsweise gar nicht zulässig.

SBZ: Worin genau liegt das Risiko, wenn ein Fachhandwerker sich nicht an die Regelwerke hält?

Bürschgens: Einfach ausgedrückt: Der Fachhandwerker haftet für den Erfolg seiner Arbeit. Wie im vorherigen Beitrag bereits beschrieben, bilden die technischen Regelwerke, die als allgemein anerkannte Regeln der Technik nach TrinkwV verbindlich einzuhalten sind, die sogenannten Elementarkenntnisse, auf deren Grundlage man eine Tätigkeit ausübt. Wenn ich also nicht weiß, was ich tue, kann ich diese Leistung auch nicht gegen Entgelt anbieten. Verstößt ein Fachhandwerker nun gegen diese Regeln der Technik, ist das zunächst grob fahrlässig und der Unternehmer ist im Schadensfall haftbar. Wird dieser Verstoß jedoch wissentlich begangen, weil dem Kunden die korrekte Ausführung vielleicht zu teuer war, kann im Schadensfall hieraus sogar billigendes Inkaufnehmen eines Risikos und damit ein bedingter Vorsatz werden. Ein Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik kann also im schlimmsten Fall unter Umständen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben, für die auch in manchen Fällen die Betriebshaftpflichtversicherungen nicht einstehen müssen.

SBZ: Gibt es bereits juristische Verfahren wegen Legionellen oder Gefährdungsanalysen?

Bürschgens: Ja, es gibt leider bereits viele gerichtsanhängige Fälle, Tendenz steigend. Der vorhin erwähnte Fall in Hamburg bei dem eine Mieterin gegen die Vermieter klagt wegen gesundheitlicher Auswirkungen der Trinkwasserqualität, in Würzburg läuft derzeit ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, bei dem eine Eigentümergemeinschaft gegen die auf Grundlage einer Gefährdungsanalyse erlassenen Anordnungen des Gesundheitsamts klagt, in München wird demnächst ein Fall verhandelt, bei dem es um Schadenersatzforderungen von Eigentümern gegen einen Handwerker geht, weil trotz getroffener Maßnahmen die Legionellenkontamination nicht beseitigt wurde, und an mehreren Stellen in Deutschland ermitteln Staatsanwaltschaften gegen Betreiber wegen fahrlässiger Tötung auf Grund von Legionelleninfektionen. Ein Labor wurde kürzlich in Bayern von der Staatsanwaltschaft durchsucht, weil der externe Probenehmer mit dem Betreiber in Geschäftsverhältnis stand und der Laborleiter ist für die Unabhängigkeit der Probenehmer verantwortlich. Die Fälle sind vielschichtig gelagert und leider zahlreich.

SBZ: Wer beurteilt im Streitfall, ob eine Gefährdungsanalyse korrekt war oder nicht?

Bürschgens: Das ist in der Tat ein Problem, da es noch immer keine öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen (öbvS) für Trinkwasserhygiene gibt. Die Gerichte beauftragen dann in der Regel freie Sachverständige für Trinkwasserhygiene als Experten oder eben bei Gericht gelistete öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Heizung/Sanitär. Bei den freien Sachverständigen ist leider die Qualität nicht immer gewährleistet, da Sachverständiger ja kein geschützter Titel ist und jeder sich so bezeichnen darf. In einem mir vorliegenden Fall soll ein Betreiber tatsächlich wegen fahrlässiger Tötung belangt werden, allein auf Grundlage des Gutachtens eines Maschinenbauingenieurs, der vor einigen Jahren mal eine VDI-Schulung besucht hat. Hier wurde im Gutachten u. a. das Fehlen von Regulierventilen für einen hydraulischen Abgleich bemängelt, die bereits drei Monate vor der Ortsbegehung nachgerüstet worden waren. Der Gutachter hatte die Ventile nur nicht als solche erkannt.

SBZ: Warum braucht man spezielle öbvS für Trinkwasserhygiene bzw. wieso können die etablierten öbvS SHK das nicht mit erledigen?

Bürschgens: In unserem komplexen Berufsbild, wie vorhin dargestellt, stelle ich das System der „Sachverständigen für insgesamt alles in Heizung oder Sanitär“ infrage, ich würde diese Sachverständigenbereiche aufteilen. Hier gilt dasselbe wie bei der Qualifikation zur Gefährdungsanalyse: Man kann nicht in allen Teilbereichen die besondere Sachkunde eines Sachverständigen nachweisen, die notwendig ist, solche Sachverhalte gerichtsfest bewerten zu können. Besonders im gefahrenträchtigen Bereich Trinkwasserhygiene und den vielfältigen Regelwerken aus DVGW-Arbeitsblätter, VDI-Richtlinien, den DIN EN 806- und DIN 1988-Reihen, den UBA-Empfehlungen, ZVSHK-Merkblättern usw. muss man sich spezialisieren. Natürlich gibt es viele öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, die sich intensiv um das Thema Trinkwasserhygiene bemühen, keine Frage. Doch es gibt auch bei den öbvS Kollegen, die mir erklären, dass sie seit Jahren keine Zeit mehr hatten, Schulungen oder Seminare zu besuchen, sodass auch eine öffentliche Bestellung für Sanitär und Heizung keine Qualitätsgarantie sein muss.

SBZ: Wie würden Sie eine Qualifikation gewährleisten?

Bürschgens: Nun, einerseits würde ich einen Qualifikationsrahmen für Fachleute als sinnvoll ansehen, die Gefährdungsanalysen erstellen möchten. Ähnlich den Seminaren zur VDI/DVGW 6023 sollte meines Erachtens hier eine Schulungsmaßnahme durchlaufen werden, in der die Abläufe und der Prozess einer Gefährdungsanalyse vermittelt werden. Vielleicht auch nochmal die wesentlichen technischen Regelwerke und die Auswirkungen verschiedener technischer Mängel. Danach sollte eine Prüfung mit einem gewissen Schwierigkeitsgrad abgelegt werden müssen, auch damit sich Fachkollegen, die fundierte Kenntnisse vorweisen können, von anderen Wettbewerbern abgrenzen können. Aus den Reihen solcher „geprüfter Sachkundiger für Gefährdungsanalysen“ könnte man dann einige Kollegen mit besonderer Sachkunde auch als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Trinkwasserhygiene zulassen, die dann Gerichten, Banken oder Versicherungen als neutrale Experten zur Verfügung stehen können. Dazu müssten natürlich zuerst einmal neue Bestellungsvoraussetzungen erarbeitet werden und wiederum ein Fachgremium aus den Reihen von VDI und DVGW, eine entsprechende Sachverständigenprüfung überhaupt abnehmen könnte. Das sind aber natürlich nur Ideen, die ich mir vorstellen könnte.

SBZ: Vielen Dank für die interessanten Erläuterungen.